rummen
Schwester Silissa schob die Perle des Rosenkranzes weiter. Aus den Mündern stieg
weißer Atem auf. Es fing in den Steinen des Kirchturms zu brummen an. Die Schwestern
beteten lauter. Einige Mädchen beteten mit. Die Stöße des weißen Atems beschleunigten
sich. Die Schwestern und die Waisenhauszögünge beteten nicht laut genug. Das
Brummen wurde stärker. Detlev fühlte es mit den Händen, mit dem Rücken an den
Steinen. Das Beten wurde leiser. Das Brummen blieb. Die Schwestern bewegten
die Lippen* ohne Töne hervorzubringen. Sie schoben die Perle des Rosenkranzes
weiter. Die Zöglinge hörten zu beten auf. Sie sahen in die Flammen der Gewitterkerzen,
die der Atem von allen Seiten stieß. Das Brummen hörte auf. Die Schwestern steckten
die Rosenkränze zwischen die Falten ihres Habits.
- Nun ist es vorüber.
- Ich habe mir gleich gedacht, daß es nicht lange dauern wird.
Der erste Knall war nicht laut gewesen. Die
Flamme der Kerzen wurde dadurch nicht unruhiger. Erst als der Atem schneller
ging, schlugen die Kerzenflammen hin und her. Detlev fühlte das Zucken in den
Steinen. Er sah in das unverputzte Gewölbe des Kirchturms hinauf. Mit jedem
Knall senkte sich das Gewölbe ein Stück auf Detlev herunter. Anna sprang zu
den Kerzen in der Mitte des Raumes. Sie wollte sich in die Hand beißen. Schwester
Appia und die Schwester Oberin hielten Annas Arme zurück.
- Ich will nicht verbrennen.
Speichel spritzte aus Annas Mund. Sie verdrehte die Augen, daß nur das Weiße
zwischen den Lidern übrigblieb. Anna versuchte sich die Zöpfe auszureißen. Ihre
Knie schlugen aneinander. Sie beruhigte sich. Die Schwestern ließen sie auf
den Boden gleiten. Anna schlief ein. - Hubert Fichte, Das Waisenhaus. Berlin 1985 (zuerst
1965)
Brummen (2) Träume ich oder hörst
du es auch? Dieses Gebrumme, dieses Brummen. Woher kommt es? Vom Himmel oder
von der Erde? Reg dich nicht auf es ist nichts. Dann sind es also meine Ohren.
Nein es kommt von außen. Dieses Gebrumme, dieses Brummen ist nicht nur in meinen
Ohren. Ich will dir sagen was es Ist, es sind die Antennen des Rundfunks von
Santa Palomba,
DER PAPST HÄLT EINE REDE.
Vielleicht hast du recht, ich habe lateinische Wörter gehört, eben jetzt
hat er magis magisque gesagt. Natürlich redet der Papst lateinisch; wie sollte
er sonst reden? Das ist doch seine Sprache so wie Französisch für die Franzosen;
seit Jahrhunderten reden die Päpste lateinisch. Aber das Lateinische ist eine
tote Sprache, bitteschön. Der Papst redet wie es ihm paßt. Gut lateinisch aber
der Papst kann an diesem Gebrumme, diesem Brummen nicht schuld sein. Schau,
der Papst ist wie ein Gewitter wenn er zornig wird. Ein FHegenschwarm fliegt
im Himmel von Pavona, ich glaube sie brummen. Nein du irrst dich, du wirst sehen
daß es der Papst ist der über Radio Vatikan spricht.
Die Luft war drückend und staubig wie damals als die amerikanischen Bomber
kamen. Man hörte in der Ferne etwas, die Luft begann zu zittern, Staub und Wind
kamen auf, die Bäume zitterten plötzlich wie Blätter, die Hunde machten sich
mit eingezogenem Schwanz davon wie vor einem Erdbeben. Waren das ferne Erinnerungen
oder kamen sie wirklich? Da kommen die Amerikaner mit ihren Bomben von Sizilien,
die fliegenden Festungen.
Dieses Gebrumme, dieses Brummen das sind die Flugzeuge. Sei ruhig Giuseppe,
der Krieg ist vorbei seit vielen Jahren haben wir Frieden. Dieses Gebrumme kommt
aber vom Himmel, dieses Brummen kommt von den Flugzeugen. Dann sind es italienische
Flugzeuge, die Düsenjäger vom Militärflugplatz von Pratica di Märe die Übungen
machen. Man hört auch den Knall, wenn sie die Schallmauer durchbrechen. Erschrick
nicht sie tun nichts Böses, sie tummeln sich im Himmel laß sie nur machen. Jetzt
fühle ich wie die Erde unter den Füßen zittert fühlst du es nicht? Das mit der
Erde ist merkwürdig, die Düsenjäger von Pratica di Mare fliegen hoch im Himmel.
Du wirst sehen daß dieses Gebrumme, dieses Brummen von den Panzern kommt. Jetzt
erkenne ich das Geräusch der Panzer wieder, sie kommen vom Meer. Sie sind zwischen
Anzio und Nettuno gelandet und sind bald hier. Dort hinter jener Hecke bewegt
sich etwas. Das sind sie. Schau du irrst dich laß mich irren.
Giuseppe, lieber Freund, du schläfst wie kannst du nur schlafen bei diesem
Gebrumme, diesem Brummen? Ich habe einen tiefen Schlaf, mich wecken nicht einmal
Kanonenschüsse und noch weniger die Bomben der Flugzeuge oder der Knall der
Düsenjäger wenn sie die Schallmauer durchbrechen, bitteschön.
Bald kommt die Feuerkugel und wird rundum alles zerstören. Da ist sie. Sie
kommt sie kommt. Sie hat die Form eines Drachens. Nein, du irrst dich mit der
Bibel passieren manchmal solche Verwechslungen. Ich fühle daß die Feuerkugel
in Drachenform bald hier ist und die ganze Ebene überschwemmt. Vielleicht verwechselst
du sie mit der Universellen Sintflut, es gibt heutzutage keine Drachen mehr
und Feuerkugeln nur in der Zukunft und wer weiß wie sie aussehen? Und Hiroshima?
Du hast recht ich rede nicht mehr, ich schneide mir die Ohren ab, nein warte,
schneide dir nichts ab.
Dieser Schwärm von Fliegen schwebte um die Antennen des Rundfunks von Santa
Palomba, die Luft vibrierte die Erde zitterte laß sie zittern. Ich habe aber
genug von diesem Gebrumme, diesem Brummen. Nun sind die Fliegen da, sie kommen
sie lassen sich vom Himmel herunter. Es sind Millionen und Millionen, der Himmel
ist ganz schwarz - Luigi Malerba, Salto
mortale. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1968)
Brummen (3) Das letzte Mal als ich
über die Ptazza Colonna ging war es halb vier Uhr nachmittags, man hörte ein
merkwürdiges Gebrumme in der Luft wie wenn man an einer Fabrik oder an einer
elektrischen Mühle vorbeigeht. Das '.sind Dinge die man nicht mit den Ohren
hört, man nimmt sie ich weiß nicht wie wahr wie die Pferde das Erdbeben. Auch
die Hunde spüren ein Erdbeben einige Stunden vorher. Ich habe dieses merkwürdige
Gebrumme gehört dieses Brummen das aus der Tiefe der Erde kam aber es ist klar
daß es sich nicht um ein Erdbeben handelt,
ES HANDELT SICH UM ETWAS ANDERES.
- Luigi Malerba, Salto
mortale. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1968)
