Brudermörder   Es geht uns nicht anders auf unserem Lebensweg als dem Judas, dem Sohn des Simon aus Jerusalem, dessen Namen er jedoch nicht führte. Stattdessen wurde er nach dem Ort Ischariot benannt, dem Ort, an dem er in seinem Binsenkörbchen angetrieben wurde, denn seine Eltern hatten den Judas kurz nach seiner Geburt im Schilf des Mittelmeers ausgesetzt, weil die Mutter noch während ihrer Schwangerschaft träumte, dass dieses Kind großes Unglück über die Familie bringen würde. Scheinbar nur wurde das Unglück gebannt, doch die Königin der Insel Ischariot, die am Meeresufer spazieren ging und sich selbst seit Langem ein eigenes Kind wünschte, fand den kleinen Judas und nahm ihn heimlich mit und ließ ihn im Geheimen aufziehen, während sie selbst so tat, als sei sie schwanger, um ihn hernach als ihr eigenes Kind auszugeben. So intensiv, auch um den Betrug zu verbergen, spielte die Königin ihre Schwangerschaft, dass sie schon bald darauf tatsächlich einen eigenen Sohn gebar, den sie zusammen mit Judas aufzog. Der Judas aber war bereits damals ein bösartiges Kind und ärgerte den leiblichen Sohn der Königin, auch weil er merkte, dass der Jüngere ihm vorgezogen wurde. Die Königin ahndete seine Vergehen unbarmherzig, denn eigentlich war Judas jetzt überflüssig geworden und erinnerte sie tagein, tagaus an die Lüge nicht nur gegenüber ihrem Mann, sondern gegenüber dem ganzen Volk. Schließlich sagte sie dem Judas einmal in Wut, dass er nur ein angeschwemmtes Findelkind sei, worauf er in seiner Verzweiflung den kleineren Bruder erdrosselte und nach Jerusalem floh, wo er zu Pontius Pilatus kam, der gerade einen aufgeweckten jungen Mann als Gehilfen suchte.

Judas und Pontius Pilatus verstanden sich deshalb so gut, weil auch Pilatus seinen Halbbruder getötet hatte. Der Vater des Pilatus war der König Tyrus, der ein Verhältnis mit der Tochter eines einfachen Müllers hatte. Der Müller hieß Atus und seine Tochter Pila, weshalb der König den unehelichen Sohn der Einfachheit halber Pilatus nannte. Pilatus wuchs zuerst bei seiner Mutter auf. Als er drei war, kam er an den Hof des Königs, wo er zusammen mit dessen Sohn erzogen wurde. Weil ihm sein Halbbruder in allem überlegen war, brachte der von Neid und Missgunst erfüllte Pilatus ihn schließlich um. Er floh aber nicht wie Judas, sondern wurde von seinem Vater an Zinses statt als Geisel nach Rom geschickt, wo er mit einer anderen Geisel, einem jungen Mann aus Frankreich, zusammentraf. Die beiden freundeten sich an, doch auch hier wurde Pilatus wieder neidisch auf die Eigenschaften seines Gesellen und tötete auch ihn. Daraufhin schickte man ihn auf die Insel Pontus, weil dort ein wildes Volk herrschte, das die römischen Statthalter regelmäßig erschlug und keine Herrschaft über sich duldete. Pilatus aber war so geschickt und eben noch böser und wilder als diese Bösen und Wilden, dass er sie unter seine Knute zwang, weshalb man ihn von da an Pontius Pilatus nannte. Sein Ruhm war so groß, dass Herodes ihn zu sich nach Jerusalem holte und ihm den Posten des Statthalters übertrug. Und es war dort, wo sich die beiden Brudermörder Judas Ischariot und Pontius Pilatus trafen. - (raf)

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