lutsbrüderschaft Sie
gehen auf das Ende der Landzunge und schneiden dort einen Rasenstreifen aus
der Erde, so daß er an beiden Enden noch an der Erde festbleibt, und stellen
einen Runenspeer darunter; der war so lang, daß ein stehender Mann die Schaftnägel
mit der Hand erreichen konnte. Darunter mußten sie alle vier treten: Thorgrim,
Gisli, Thorkel und Vestein. Und dann ritzen sie sich blutig und lassen ihr Blut
in der trockenen Erde zusammenfließen, die unter dem Rasenstreifen bloßgelegt
war, und rühren das Ganze zusammen, die Erde und das Blut. Darnach fielen sie
alle auf die Knie und schwören ihren Eid: Einer solle den anderen wie seinen
leiblichen Bruder rächen; und rufen alle Götter zu Zeugen. Und als sie einander
dann die Hände gaben, da sagte Thorgrim: »Ich habe schon genug Verpflichtungen,
wenn ich es mit meinen beiden Schwägern Thorkel und Gisli tue; gegen Vestein
verpflichtet mich nichts« - und zuckt seine Hand zurück. »So muß ich dasselbe
tun«, sagt Gisli und zuckt auch seine Hand zurück: »Ich werde mich doch nicht
einem Manne verpflichten, der mit meinem Schwager Vestein nichts zu tun haben
will.« -
Gisli-Saga, nach: Die schönsten Geschichten aus Thule. München 1993.
Hg. H.M. Heinrichs
Blutsbrüderschaft (2)
Ich weckte den offenbar eingeschlafenen Haakon. Er war nicht unwillig.
Er fragte sehr leise: »Was willst du?« Ich sagte: »Laß uns Blutsbrüderschaft
trinken. Ich ertrage sonst mein Leben nicht länger.« »Wie nennst du das?« »Blutsbrüderschaft.«
»Ein schönes Wort.« Er richtete sich auf. Er erwartete, daß ich zu sprechen
fortführe. Ich sagte bei aufeinanderschlagenden Zähnen: »Du nimmst dein Messer
und machst mir einen Schnitt in den Arm oder in die Brust oder wo es dir beliebt.
Und saugst das Blut, das aus mir herausrinnt, in deinen Mund, daß ein Teil von
mir in dich eingeht. Ich tue mit dir das Gleiche, daß ein Teil von dir in mich
eingeht. Dann werden wir einander ähnlicher sein. Und es ist das Versprechen
darin enthalten, wir wollen niemals voneinander lassen und einander verraten.
Wir sind wie Geschwister, mit einer Liebe zueinander, die noch größer ist als
unter Verwandten.« Er schwieg sehr lange. Meine Vorstellungen brandeten in mir.
Ich gab Versprechungen von solcher Heftigkeit und Unendlichkeit in der Wirkung,
daß ich fast ohnmächtig wurde vor Glück, sie zu denken. Ich würde einen Bruder
bekommen, einen nahen Verwandten, der ich doch Vater und Mutter nicht kannte.
Haakon schwieg so lange, daß die Vorstellungen meines Geistes zuende gingen,
ohne daß ich ein Wort von ihm vernommen hätte. Ich wurde beunruhigt. Ich faßte
nach seiner Hand. Er warf sich nieder, wühlte sich tiefer ins Heu, nahe an meiner
Seite. »Es ist sehr kalt«, sagte er. Ich fühlte plötzlich mit ihm die empfindliche
Kälte der Luft, die im Schuppen war. Ich vergrub mich, ihm gleich. Er setzte
seine Rede fort und fragte: »Wie alt bist du eigentlich?« »Vierzehn Jahre«,
antwortete ich. »Ich bin sechzehn Jahre alt«, stellte er fest. Ich wußte es
schon. Plötzlich hielt er meine Hand und streichelte sie. Er führte sie an seine
Brust. Ich bemerkte, er hatte sich die Kleidung geöffnet. »Nimm dir, was du
willst«, sagte er. Da blieb mein Arm auf seinem nackten Fleisch liegen. Ich
verstand ihn nicht. Ich fühlte nur seine Nähe. Ich entdeckte das Nabelgrübchen
an ihm. Ich begriff, ich brauchte mich nicht zu schämen wegen einer ganz unbekannten
Regung in meinem Schöße; denn er teilte sie mit mir. Da begann ich sehr laut
zu weinen. Ganz grundlos. Ich ließ das Wasser meiner Augen auf seine Brust fallen.
Er schob meine Hand von sich, knöpfte seine Jacke zu. »Es ist besser, wir schlafen«,
sagte er. Ich war vernichtet. Ich wagte kein Wort. Reglos, stumm ohne Schlaf
verbrachte ich die Nacht. Ich hatte etwas versäumt. Unterlassungssünde. Ich
wußte nicht was. Er wußte es; aber er hatte es mir verschwiegen. Am Morgen,
als ich kalkig bleich neben ihm stand und die Halme von meiner Kleidung ablas,
sagte er: »Du bist noch sehr dumm.« - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main
1966 (zuerst 1929)
Blutsbrüderschaft (3) Die Blutsbrüderschaft wurde mit einer heiligen Handlung besiegelt, im Mischen von beider Blut. „Die Seele sitzt im Blut", steht im Alten Testament), und es ist wahrscheinlich, daß ein Mysterium dort geschah, das wir nicht verstehen, das bei allen Sakramenten geschieht, die wir ebensowenig verstehen. Torger und Tormod hatten ihr Blut vermischt, und unzertrennlich gingen sie zusammen durch Kampf und Streit. Eines Tages aber, als Torger von den Erfolgen berauscht war, wirft er dem Bruder das unvorsichtige Wort hin:
- Wer von uns beiden, glaubst du, würde herrschen, wenn wir einen Strauß wagten?
-Das weiß ich nicht, antwortete der Bruder; aber ich weiß, daß diese Frage unserm Zusammenleben ein Ende macht. Ich will nicht länger bei dir bleiben.
-Es war nicht mein Ernst, daß wir unsere Kräfte messen sollten.
-Es ist dir doch in den Sinn gekommen, da du es sagtest.
Er ging, und das war das Ende!
„Ihr Freundschaftsverhältnis war so zerbrechlich, daß es nicht vertrug, von
einem voreiligen Gedanken berührt zu werden", fügt der Erzähler hinzu.
- (blau)
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