lut, slawisches  Alle unsere Kellner gingen mit den deutschen Gästen um, als verstünden sie kein Deutsch, selbst der Herr Oberkellner Skrivánek sprach mit den Deutschen nur englisch oder französisch oder tschechisch, und als ich im Kino einmal einer Frau auf das Schühchen trat und sie deutsch sprach, da habe ich mich auf deutsch bei ihr entschuldigt und habe die Frau, die hübsch angezogen war, ein Stück begleitet, und aus Dank dafür, daß sie deutsch mit mir sprach, habe ich zu ihr gesagt, es sei schrecklich, was die Tschechen mit den armen deutschen Studenten anstellten, mit eigenen Augen hätte ich gesehen, wie man ihnen auf der Nationalstraße die weißen Kniestrümpfe von den Füßen gezerrt und die braunen Hemden heruntergerissen habe. Und sie sagte, ich sähe das ganz richtig, Prag sei altes Reichsgebiet, und das Recht, hier durch die Straßen zu gehen und sich nach eigenem Brauch zu kleiden, sei unveräußerlich, die ganze Welt verhalte sich gleichgültig dazu, doch die Stunde werde kommen, und der Tag, daß die Geduld des Führers zu Ende sei, dann werde er kommen und alle Deutschen vom Böhmerwald bis zu den Karpaten befreien und...

Ich bemerkte jetzt erst, daß ich ihr, während sie dies sagte, von Auge zu Auge ins Gesicht schaute, daß ich nicht aufblicken mußte wie zu den anderen Frauen; immer hatte ich das Pech, daß die Frauen, die es in meinem Leben gab, alle größer waren als ich, wahre Riesinnen waren unter ihnen, denn im Stehen guckte ich ihnen immer auf den Hals oder auf den Busen. Nun aber sah ich eine Frau, die genauso klein war wie ich, deren grüne Augen leuchteten und die genauso mit Sommersprossen gesprenkelt war wie ich. Die braunen Sommersprossen harmonierten so gut mit ihren grünen Augen, daß mir auf einmal klar wurde, wie schön sie war, und ich bemerkte zugleich, daß sie mich genauso ansah. Ich trug wieder die schöne weiße Krawatte mit den blauen Pünktchen, und sie betrachtete mein Haar, das hellblond war wie Stroh, und dazu meine blauen Kalbsaugen, und dann sagte sie zu mir, die Deutschen aus dem Reich brauchten so nötig slawisches Blut, brauchten so nötig die Weite und die slawische Natur, schon seit tausend Jahren seien sie bemüht, sich im guten wie im bösen mit diesem Blut zu vermischen, und sie vertraute mir an, daß ein großer Teil des preußischen Adels slawisches Blut in sich habe, und dieses Blut mache diese Adligen in den Augen des übrigen Adels wertvoller als die anderen...

Ich stimmte dem zu und wunderte mich, wie gut sie mich verstand, denn hier hatte ich keinen Gast danach zu fragen, was er zum Mittag oder zum Abendessen wünsche, ich konnte mit diesem Fräulein sprechen, dem ich auf das schwarze Schühchen getreten hatte, und so sprach ich ein bißchen deutsch und viel tschechisch, hatte aber fortwährend das Gefühl, deutsch zu sprechen, im deutschen Geiste... Ich erfuhr von dem Fräulein, daß sie Lisa heiße, aus Eger, also Cheb, stamme, dort Lehrerin für Leibesübungen sei, Gaumeisterin im Schwimmen, und sie schlug die Jacke auf, und an ihrer Brust war ein Abzeichen aus vier kreisförmig angebrachten F, wie ein Vierklee, und sie lächelte mich an und sah immer nur auf mein Haar, bis ich unruhig wurde, doch sie gewann mein Vertrauen und sagte, ich hätte das schönste helle Haar auf der Welt. Fast geriet ich ins Stolpern und erzählte ihr dafür, daß ich Ober im Hotel Paris sei; das sagte ich und war schon aufs Schlimmste gefaßt, sie aber legte mir die Hand auf den Ärmel, und als sie mich berührte, glänzten ihre Augen, so daß ich erschrak, doch sie sagte, ihr Vater besitze in Eger das Restaurant Stadt Amsterdam ... - Bohumil Hrabal, Ich habe den englischen König bedient. Frankfurt am Main  1990 (zuerst 1971)

Blut
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