2.) Halten Sie Ihre Ohren geschlossen anlässlich von Schmeicheleien, Lobeserhebungen, Verführungen, schlechten Ratschlägen, üblen Nachreden, verletzenden Spötteleien, Indiskretionen, bei böswilliger Kritik, bei Verdachten, die Ihnen mitgeteilt werden, und bei jedem Wort, das zwischen zwei Seelen die kleinste Abkühlung verursachen kann.
3.) Wenn Ihr Geruchssinn irgendetwas zu leiden hat infolge gewisser Gebrechen oder Krankheiten Ihres Nächsten, dann schöpfen Sie daraus - weit davon entfernt, sich jemals darüber zu beklagen - eine heilige Freude.
4.) Was die Qualität der Lebensmittel anbelangt, so haben Sie große Achtung vor dem Ratschlag unseres Herrn! "Esst, was man euch vorsetzt. Esst, was gut ist, ohne daran Gefallen zu finden, und das, was schlecht ist, ohne eure Abneigung zu bekunden; man erzeige sich sowohl beim einen als auch beim anderen ebenso gleichmütig (= indifferent)." Das ist, sagt der heilige Franz von Sales, die wahre Abtötung.
5.) Bieten Sie Gott Ihre Mahlzeit an, legen Sie sich bei Tisch eine kleine Entbehrung auf; versagen Sie sich zum Beispiel ein Körnchen Salz, ein Glas Wein, eine Süßigkeit, etc. Ihre Tischgenossen werden das gar nicht bemerken, aber Gott wird es Ihnen anrechnen.
6.) Wenn das, was man Ihnen vorsetzt, Ihre Esslust lebhaft anstachelt, dann denken Sie an die Galle und den Essig, mit denen unser Herr am Kreuze getränkt wurde: das kann Sie zwar nicht vom Genießen abhalten, aber es wird der Lust als Gegengewicht dienen.
7.) Man muss jeden sinnlichen Kontakt vermeiden, jegliche Zärtlichkeit, in die man irgendetwas von Leidenschaft hineinlegen oder darin suchen würde, an der man eine hauptsächlich sinnliche Freude fände.
8.) Verzichten Sie darauf, sich zu wärmen; außer es sei Ihnen notwendig, um sich ein Unwohlsein zu ersparen.
9.) Ertragen Sie alles, was naturgemäß das Fleisch bekümmert; ganz besonders die Kälte des Winters, die Hitze des Sommers, ein hartes Nachtlager und alle Unbequemlichkeiten gleicher Art. Machen Sie zu jeder Zeit ein fröhliches Gesicht, lächeln Sie bei allen Temperaturen. Sprechen Sie mit dem Propheten: "Kälte, Hitze und Regen, preiset den Herrn!" -Wie glücklich wären wir, wenn wir dahin gelangen könnten, dieses Wort ehrlichen Herzens zu sprechen, das dem heiligen Franz von Sales vertraut war: "Niemals fühle ich mich wohler, als wenn ich mich nicht wohl fühle."
10.) Töten Sie Ihre Einbildungskraft ab, wenn sie Sie durch die Verlockung eines glänzenden Postens verführt, wenn sie Sie betrübt durch die Aussicht auf eine düstere Zukunft, wenn sie Sie beunruhigt durch die Erinnerung an ein Wort oder eine Handlung, die Sie beleidigt haben.
11.) Wenn Sie in sich das Bedürfnis zu träumen verspüren, dann töten Sie es erbarmungslos ab.
12.) Demütigen Sie sich mit größter Sorgfalt in Bezug auf die Ungeduld, auf die Reizbarkeit und auf den Zorn.
13.) Unterziehen Sie Ihre Wünsche von Grund auf einer Prüfung und unterwerfen Sie sie der Kontrolle durch die Vernunft und den Glauben: Wünschen Sie nicht eher ein langes Leben, als ein heiligmäßiges Leben? Ein Leben des Vergnügens und des Wohlstandes ohne Kummer und Schmerzen, ein Leben der Siege ohne Kämpfe, ein Leben der Erfolge ohne Rückschläge, ein Leben der Beifallskundgebungen ohne Kritik, ein bequemes und ruhiges Leben ohne ein Kreuz irgendwelcher Art; das heißt: ein Leben, das dem unseres Göttlichen Heilandes total entgegengesetzt ist?
14.) Seien Sie auf der Hut davor, sich bestimmte Gewohnheiten anzueignen, die, ohne dass sie tatsächlich schlecht sind, unheilvoll werden können: wie zum Beispiel die Gewohnheit, minderwertige Lektüre zu lesen, Glücksspiele, usw.
15.) Suchen Sie Ihren vorherrschenden Fehler kennen zu lernen; und sobald Sie ihn erkannt haben, verfolgen Sie ihn bis in seine letzten Schlupfwinkel hinein. Unterwerfen Sie sich zu diesem Zweck ehrlichen Herzens an dem, was an Eintönigem und Langweiligem in der Praxis der besonderen Gewissenserforschung enthalten sein könnte.
16.) Es ist Ihnen nicht verboten, Zuneigungen zu haben und
diese auch zu zeigen; aber seien Sie auf der Hut gegenüber der Gefahr,
das rechte Maß zu überschreiten. Bekämpfen Sie energisch die allzu
natürlichen Anhänglichkeiten, die besonderen Freundschaften und alle
die weichlichen Empfindsamkeiten des Herzens.
-
Desiré Kardinal Mercier
, 1851 - 1926
- (
blau
)
Askese
(3) Was bedeuten asketische Ideale? - Bei Künstlern Nichts
oder zu Vielerlei; bei Philosophen und Gelehrten Etwas wie Witterung
und Instinkt für die günstigsten Vorbedingungen hoher Geistigkeit; bei
Frauen, besten Falls, eine Liebenswürdigkeit der Verführung mehr, ein
wenig i auf schönem Fleische, die
Engelhaftigkeit. eines hübschen fetten Tiers; bei physiologisch
Verunglückten und Verstimmten (bei der Mehrzahl der Sterblichen) einen
Versuch, sich 'zu gut' für diese Welt vorzukommen, eine heilige Form
der Ausschweifung, ihr Hauptmittel im Kampf mit dem langsamen Schmerz
und der Langenweile; bei Priestern den eigentlichen Priesterglauben,
ihr bestes Werkzeug der Macht, auch die 'allerhöchste' Erlaubnis zur
Macht; bei Heiligen endlich einen Vorwand zum Winterschlaf, ihre
novissima gloriae cupido, ihre Ruhe im Nichts ('Gott'), ihre Form des
Irrsinns.
- Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral
Askese
(4) Ich neigte zu einer Art Askese, stellte die poetische Inbrunst
über alles und hatte nur für den Alkohol eine gewisse Duldsamkeit, den ich manchmal
wie ein Orakel befragte; ich schätzte ihn als Instrument
des Deliriums und als männliches Rauschgift, das uns vom Wirklichen ablöst und
uns die Illusion der Heldenkraft, die Unantastbarkeit eines Halbgottes
schenkt. - (
leiris3
)
Askese
(5) In San Quentin gab er das Rauchen auf. Wenn einem
die Raucherlaubnis entzogen wird und man Nichtraucher ist, dann ist diese Strafe
bedeutungslos. Als er wieder in den Hof durfte, reihte Freddy sich in aller
Ruhe bei den Athleten ein, die dort täglich Eisen pumpten, und er arbeitete
an seinem Geist ebenso wie an seinem Körper. Er las jede Woche das Time-Magazin,
und er abonnierte den Reader's Digest. Auch den Sex gab er auf, und seinen pummeligen
Bubi, einen goldbraunen Chicano aus East Los Angeles, verkaufte er für acht
Stangen Chesterfield und zweihundert Milky Way. Für die Chesterfields (die Lieblingsmarke
der schwarzen Gefangenen) und hundertfünfzig der Milky Ways bekam er eine Einzelzelle.
Mit der Machtstruktur unter den Gefangenen fand er sich ebenfalls friedlich
ab. So hatte er seine Selbstlosigkeit gegen Selbstsucht eingetauscht; er hatte
die Lektion gelernt, die jeder irgendwann lernen mußte: Was ein Mann freiwillig
aufgibt, kann man ihm nicht wegnehmen. - Charles Willeford, Miami Blues. Reinbek
bei Hamburg
1994
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