Wohnung, konspirative  Im Badezimmer ist nach all dieser Starre alles sauber, leuchtend, geometrisch, strahlend, schneidend, man könnte an einen Operationssaal denken. Als erstes bekommt man Lust, die Luftmenge dieses Raumes zu messen. Später hat man das Vergnügen an irgendeinem kurzen Vergnügen. Der Anstrich der Wände wirft eine unerbittliche Helligkeit zurück, die keine Runzel und kein weißes Haar verbirgt. In den Geräten für Hydrotherapie und elektrische Massage schlummern unter der Härte der Politur die Folterkammern von einst. Die Armee der Feilen, Nagelschieber, Nagelpolierer, Scheren, Brennscheren, die Bataillone der Schmink-, Colgate-, Cold-cream-Dosen, Nagellackfläschchen, sowie die Phalangen der Lippenstifte, Puderquasten, Kämme, Bürsten jeder Größe und für jeden Zweck erwarten auf dem Frisiertisch ohne merkliche Ungeduld die täglichen Kämpfe. Die Gummischwämme, dieser Triumph des Menschen, thronen auf dem Toilettentisch, und der Geruch der Zahnpasta vervollständigt den Dekor.

Man drehe den Abflußhahn des Waschbeckens in die entgegengesetzte Richtung: sieh da, eine Falltür öffnet sich an der Decke, und eine eiserne Leiter gleitet herab. Einen Verbrecher verstecken, konspirieren, einen Leichnam verschwinden lassen, dazu muß eine Wohnung immer imstande sein. Durch diese heimliche Verbindung gelangt man ins obere Stockwerk, das den Schlupfwinkeln der Kriminalromane in nichts nachsteht. Zunächst einmal bringt ein nackter, gleichsam verlassener Raum den Besucher aus der Fassung: auf die Wände ohne Tapete und ohne Anstrich haben Arbeiter ihre Namen, Rechnungen, Reflexionen über das Leben geschrieben, ihr Frauenideal gezeichnet; auf die Fensterscheiben haben die Maurer mit weißer Farbe das Symbol des Unendlichen gemalt. Der übrige Teil der Wohnung ist das Werkzeugmagazin eines guten Detektivs: Mikrophone und Tonaufnahmegeräte zum Abhören von Gesprächen, in Nähtischchen versteckte Fotoapparate, Sessel, die den Unvorsichtigen, der sich auf sie setzt, gefangennehmen, getarnte Safes, falsche Behälter mit höllischer Klingel oder mit einer Falle, durchsichtige Wände, Periskope, die es erlauben, auf dem Dach die Taten und Handlungen der Dachdecker zu beobachten (man kennt nie ihre Absichten, es ist wie bei den Leuten, die das Telefon reparieren). Dort hat Matisse die allerneuesten Maschinen aufgestellt, die lautlos, schnell oder langsam, mit oder ohne Zufügung von Schmerz töten. Je harmloser sie aussehen, um so mehr liebt sie sie; da ist der Curare-Fingerring, der bei einem Händedruck mordet; da ist die lautlose Druckluftpistole; der Bumerang, der nach getaner Arbeit zu seinem Herrn zurückkehrt; der vulgäre Sandsack; der Kohlendioxydkamin; das Buch mit den vergifteten Seiten, das schlecht erzogene Leute dafür bestraft, daß sie zum Umblättern den Finger befeuchten; die Bombe mit flüssiger Luft; die elektrischen Apparate, die den Zugang zu einem Zimmer bei Todesstrafe untersagen; Röhren mit radioaktiver, mit infraroter oder ultravioletter Strahlung, mit farbigen Strahlen: sie rufen Wahnsinn, zonästhesische Störungen oder Fieberzustände hervor, ja führen zum Tode; schließlich ist da die große Revolveruhr, die zu festgesetzter Stunde den ihr gegenüber auf einen Stuhl gefesselten Detektiv erschießt oder vielmehr nicht tötet, weil seine Cousine, als Dienstmann, als Pastor, notfalls als Leichnam verkleidet, auftaucht, oder weil die Tochter des Verbrechers — ihre Mutter war eine anständige Frau - sich in das nette Gesicht des Verurteilten verliebt, oder auch weil eine Minute vor drei das Haus, in dem der ergebene Gehilfe oder die Feueranbeter eine Ladung Sprengstoff angebracht haben, in die Luft fliegt und den interessanten Helden der modernen Epen mit sich in den Hudson reißt, der gerade unter ihm vorbeifließt.    - (lib)

 

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