aisenknabe   Ein Waisenkind zu sein, hat seine Vorteile. Es bringt einem Kind vielerlei Mitleid ein, ehrliches und verzuckertes. Bis auf den heutigen Tag glaube ich, es wäre angebrachter gewesen, mich zu beneiden. Man mißverstehe mich nicht: ich habe selber Frau und Kind, und noch im Grabe würde ich meinen Sohn bemitleiden, hätte er mich und seine Mutter schon in seinem zartesten Kindesalter verloren. Ich war als Kind aber unvoreingenommener als heute. Daß ich alle paar Jahre zu anderen Leuten "in Pension" kam, empfand ich niemals als Härte oder Bitternis, ganz im Gegenteil, heute noch denke ich an die zwölf Familien, bei denen ich aufgewachsen bin, mit Anhänglichkeit zurück. Fremde Menschen hatten nichts Beängstigendes oder Unheimliches für mich, ein neues Milieu bedeutete unerforschtes Land, und ich betrat es mit begeisterter Neugierde - zugleich mit dem Sicherheitsgefühl des Reisenden, der das Billett zur Weiterfahrt in seiner Tasche weiß.  - Wieland Herzfelde, Immergrün. Merkwürdige Erlebnisse und Erfahrungen eines fröhlichen Waisenknaben. Berlin 1949

Waisenknabe (2)  Trotz wohlbegründeter Zweifel, ob es ratsam sei, jene Rasse zu erhalten, die Gottes Einverständnis und der Menschen Mißbilligung erfährt, gebar im Frühjahr 1880, im Alter von fünfundvierzig Jahren, Hedwig Volkbein, eine Wienerin von großer Kraft und soldatischer Schönheit -hingestreckt unter Pfosten eines Himmelbetts von üppig theatralischem Karmin, hinter Behängen, auf denen Habs-burgs gegabelte Schwingen prangten, unter Federdecken, deren Atlashülle in reichem indes erblindetem Goldfaden das Volkbeinsche Wappen schmückte -, ihr einziges Kind: einen Sohn; sieben Tage nach der vom Arzt vorausgesagten Stunde.

Auf diesem Schlachtfeld nun, dröhnend im Getrappel morgendlicher Pferdehufe von der Straße drunten, wandte sie sich um: mit der großartigen Geste eines Fahnen salutierenden Generals nannte sie ihn Felix, stieß ihn von sich und verschied.

Des Kindes Vater war sechs Monate zuvor gestorben, Opfer eines Fiebers. Guido Volkbein, Jude italienischer Abkunft, Gourmet und Dandy, war in der Öffentlichkeit niemals erschienen ohne das Band einer völlig unbekannten Auszeichnung, ein diskretes Fädchen, das dem Knopfloch Farbe verlieh. Er war klein gewesen, rundlich, und auf überhebliche Weise scheu. Ein vorstehender Bauch, jäh aufwärts strebend, hob die Knöpfe der Weste und Hose hervor und wies somit genau auf die Körpermitte, mit einer Nabellinie, wie man sie auf Früchten sieht - die unvermeidliche Wölbung, Resultat mächtiger Runden von Burgunder, Schlagsahne und Bier.  - Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981  (zuerst 1936)

 

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