rlaub  Wie in den ursprünglichen strengen Urteilen, so wurde auch in den Milderungsurteilen das Recht der Änderung und Wiederauferlegung der ursprünglichen Strafe mit oder ohne Veranlassung ausdrücklich vorbehalten. Auf wen die Inquisition einmal ihre Hände gelegt hatte, den ließ sie auch nicht wieder los, und die höchste Gnade, die sie bewilligte, bestand lediglich in einem Urlaubsscheine. Ebensowenig wurde auch jemals ein freisprechendes Urteil verkündet. So wiesen das Konzil von Beziers im Jahre 1246 und Innozenz IV. 1247 die Inquisitoren an, den Gefangenen bei seiner Freilassung darauf aufmerksam zu machen, daß der leiseste Verdachtsgrund seine Bestrafung ohne Erbarmen zur Folge haben würde, sowie daß er jederzeit wieder eingekerkert werden könne, und zwar ohne die Förmlichkeit eines neuen Prozesses oder Urteils, wenn das Interesse des Glaubens dies erfordere. Diese Bedingungen wurden auch in die Formularien aufgenommen und in den praktischen Handbüchern eingeschärft. Dem Büßer mußte eben klar und deutlich zum Bewußtsein gebracht werden, daß die Freiheit, die er genieße, von dem freien Ermessen seines Richters abhänge und daß ihn dieser jederzeit wieder einkerkern oder in Fesseln legen lassen könne; darum mußte sich auch der Büßer in seinem Abschwörungseide mit seiner Person und seinem ganzen Vermögen verpflichten, sofort zu erscheinen, sobald und sooft er dazu aufgefordert werde. Zwar gibt Bernhard Guidonis in seinem Formularium auch den Entwurf einer Begnadigung, in welcher dem Freigesprochenen nicht nur Leben und Eigentum rückhaltlos geschenkt, sondern auch jede Rechtsbeeinträchtigung seiner Erben aufgehoben wird; aber er fügt ausdrücklich die Erklärung bei, daß diese Formel nie oder doch nur höchst selten angewandt werden dürfe. Wenn es sich um eine wichtige Angelegenheit handelte, z.B. um die Gefangennehmung eines hervorragenden Ketzerlehrers, so durften die Inquisitoren ihre Amtsgewalt noch weiter ausdehnen und seinen Anhängern, um sie zum Verrate zu veranlassen, Versprechungen machen. Mit Befriedigung können wir feststellen, daß solche Versprechungen fast immer mit Verachtung zurückgewiesen wurden. Wenn besondere Bußen auferlegt worden waren, so konnte der Inquisitor, falls er es für angezeigt hielt, nach Vollziehung derselben den Büßer für einen Mann von gutem Charakter erklären; aber eine solche Erklärung änderte nichts an dem im ursprünglichen Urteile gemachten Vorbehalte, denn die Milde der Inquisition kannte keine Begnadigung, sondern nur einen Aufschub zur Bewährung, dum bene se gesserit, und der einmal von ihr Verurteilte mußte jeden Augenblick darauf gefaßt sein, wieder vorgeladen zu werden, um die Erneuerung des alten Urteils oder gar noch ein härteres zu vernehmen.

War er einmal ein Delinquent, so war sein Schicksal für immer in die Hände seines schweigsamen und geheimnisvollen Richters gelegt, der ihn nicht zu hören brauchte und ohne Begründung vernichten konnte. So wandelte der Begnadigte ununterbrochen am Rande des Verderbens, beständig von einem Verhängnis bedroht, dessen Eintritt er weder wissen noch abwenden konnte. Er stand für immer unter Aufsicht der allgemeinen Polizei der Inquisition, des Pfarrpriesters, der Mönche, des Klerus, ja, der ganzen Bevölkerung, denen allen es strenge eingeschärft war, von jeder Nachlässigkeit in der Buße oder von jedem verdächtigen Verhalten des Büßers unverzüglich Anzeige zu machen, eine Anzeige, die ihn sofort der furchtbaren Strafe des Rückfälligen preisgab. Für einen persönlichen oder geheimen Feind war natürlich nichts leichter, als einen solchen Unglücklichen zu vernichten, zumal da der Denunziant wußte, daß sein Name nie genannt werden würde. Gewiß muß man die Opfer des Scheiterhaufens und der Gefängnisse bemitleiden; aber ihr Schicksal war in Wirklichkeit kaum härter als das jener zahllosen Männer und Frauen, welche die Inquisition angeblich begnadigt hatte, deren Dasein aber von jener Stunde an kein anderes war als das einer endlosen und hoffnungslosen Angst. - Henry Charles Lea, Die Inquisition. Hg. Joseph Hansen. Frankfurt am Main 1985 (Die Andere Bibliothek 6, zuerst 1887)

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