ingeltangel Die Unternehmerkalkulation der Tingeltangels war denkbar schlicht. Bezahlt wurden nur die Komiker. Die Soubretten .arbeiteten 'für .Korkengeld'. Die Gagen für die Komiker wurden aus den Eintrittsgeldern gedeckt, die für die Soubretten ergab der Bierumsatz. Das Lieblingsgetränk der Künstlerinnen war Porterbier, das Glas für eine Mark. Es war natürlich einfaches dunkles Berliner Bier. Von jedem Glas 'Porter', das der Soubrette von den Gasten spendiert wurde, bekam sie fünfundzwanzig Pfennige. Die Soubretten saßen im Hintergrund der 'Bühne', immer zehn bis zwanzig Mädchen, meist im Reitsitz, die Stühle verkehrt herum, mit breit aufgestützten Armen und kokettierten mit den Beinen.
Frank Wedekind, als er damals nach Berlin kam, verliebte sich sofort in das neue Wort 'Tingeltangel'. Er schmeckte den schwefligen Humor, der in diesem Spiegelklang aus Leichtsinn und Laune und halber Prostitution flirrte. Er ironisierte die 'Freiheit' der Spießer, die im Tingeltangel ihre Zehnmarkbacchanalien feierten. Die Mädchen vom Tingeltangel jedoch drückte er fest an sein Herz:
„Fürchte nichts, mein süßer Schlingel:
In der schweren Not der Zeit
Freut
der Mensch sich nur im Tingel-Tangel
seiner Menschlichkeit.
Bei dem allgemeinen Mangel
Idealer Seelenglut
Trefft ihr nur im Tingel-Tangel,
Was das Herz erheben tut.
Saht ihr einen süßren Engel
Je zu eurem Zeitvertreib
Als ein hübsches
Tangel-Tengel
Tingel-Tongel-Tungel-Weib ?
Trommelwirbel und Geklingel!
Lauter drönt der Pauke Ton;
Und im Taumel
tanzt die Tingel-
Tangel-Tänzerin davon."
In Berlin gibt es immer alles, was es gibt, in allen Preislagen. Das teuerste Berliner Tingeltangel war 'Moors Academy of Music' in der Friedrichstraße. Am Köllnischen Fischmarkt hieß die 'Academy' ganz schlicht 'Franz Würfels Singspielhalle'. In der Kommandantenstraße gab es die 'Silberhallen' und in der Elsässer Straße das 'Elysium'. Mit Rücksicht auf die Stammgäste, meist Medizinstudenten, befand sich am 'Elysium' eine Inschrift in lateinischer Sprache: „Tretet ein, auch hier sind Götter!" Die Götter waren Göttinnen, hatten schwarze oder rote Trikotstrümpfe an, dazu das Balletteusen-Tütü und ein dekolletiertes Leibchen mitStraß- und Similisteinen besetzt. Die Göttinnen sangen: „Ich laß mich nicht verführen, dazu bin ich zu schlau / Ich kenne die Manieren der Männer zu genau!" Sie sangen: „Fischerin, du kleine, fahre nicht alleine . . ." und: „Ach, wenn das mein Männchen wüßt, was mir da passiert".
Die Komiker gaben Paukenverse zum besten, die schon nicht mehr zweideutig
waren. Das Bild war überall gleich. Überall das Podium mit den zehn bis zwanzig
Mädchen, dazu die Komiker im Frack oder im bunten Kostüm (Klamottenkomiker genannt,
weil alte Kleider in Berlin 'Klamotten' hießen) und vor dem Podium die Kapelle,
die im 'Elysium' aus nur einem Klavierspieler bestand. Er hatte auf dem Klavier
eine sogenannte 'Bierklingel' stehen, die er schrillen ließ, wenn die nächste
Nummer kam. Der Klavierspieler trug eine Perücke und spendable Gäste aus der
ersten Reihe durften sich auf seinem Toupet die Zigaretten ausdrücken. - Walter Kiaulehn, Berlin.
Schicksal einer Weltstadt. München 1981 (dtv 1648, zuerst 1958)
Tingeltangel (2) Ein diskretes
tingeltangel hatte gestern abends an seinen schwarzen seidenrüschen feuer gefangen
und war mit seinen cancantänzerinnen, kellnern und lebemännern knisternd zu
asche verbrannt. Schon heute in den grauen morgenstunden konnte man die pfründner
und armenhauspensionäre der stadt sehen, wie sie in dunklen scharen die brandstätte
abpilgerten, um vielleicht einen geschmolzenen goldzahn, anhängsel, incombustible
medaillons oder verräucherte gedenkmünzchen aus dem warmen russ zu fördern.
Gegen mittag, kurz bevor jener grosse regen niederging, der alles zu schlamm
wandelte, fand das kleine waisenmädchen mit dem matrosenanzug ein fleischfarbenes
fossiliertes geranium, das aus dem gerösteten beckenknochen von mlle. Marie-Ange
zart hervorwelkte. - H.C. Artmann,
Das im Walde verlorene Totem. Salzburg 1970
Tingeltangel (3)
Durch dicken Qualm von Zigaretten |
- Oskar Kanehl, nach: Dich süsse Sau nenn ich die Pest von
Schmargendorf
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Erotische Gedichte des Expressionismus. Hg. Hartmut Geerken. München 1985
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