ülze
Im zweiten Stock wohnt Frau Fobbe, eine große, kräftige, energische und brave
Frau, Spiritistin, Gesundbeterin und Todfeindin der Engel im Parterre. Im dritten
Stock wohnt Frau Mühlhan. Sie sieht aus wie eine gute, alte Eule und legt den
Mädchen die Karten. Diese beiden braven Seelen waren überzeugt: „Herr Haarmann
ist bei der Mitternachtsmission. Er tut Gutes an die Obdachlosen. Er führt sie
zum Arbeitsnachweis und gibt die armen Jungens zu essen." — In der Küche
der Mutter Engel im Parterre wurde Sülze bereitet. Haarmann
brachte in einer Schüssel, die er mit einem Tuche verdeckt hatte, in kleine
Würfel geschnittenes Fleisch und schüttete es in kochendes Wasser. Von dem gekochten
Fleisch, das hlaß aussah und nach seinen Angaben Schweinefleisch sein sollte,
füllte er das Fett ab, glühte dieses Fett dann noch einmal aus und füllte es
in Flaschen. Das Fleisch -wurde durch eine Fleischmaschine gedreht und dann
in die Schale gefüllt. Vor Weihnachten 1923 machte Haarmann in der Engeischen
Küche auch einmal Wurst in-Därme, die angeblich Hammeldärme sein sollten. Haarmann,
der regelmäßig bei Engels aß, verzehrte diese Wurst gemeinschaftlich mit seinen
Wirtsleuten; sie war gut gewürzt und schmeckte wie Brägenwurst. Auch von der
Sülze und dem ausgeglühten Fett bekam die Familie Engel jedesmal ihren Teil.
Aber seit Mitte April 1924 bezogen sie kein Fleisch mehr von Haarmann, weil
ihnen danach übel wurde und sie es nicht mehr mochten. Über die Herkunft dieses
Fleisches ließ sich gar nichts feststellen. Die Hausgenossen geben an, es sei
ihnen aufgefallen, daß Haarmann oft mit Fleischpaketen das Haus verließ, aber
nur selten mit Paketen ankam. -
Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925
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