prache,
lyrische
Da steht also ein solches lyrisches
Ich, sagt sich: ich heute bin so. Diese Stimmung liegt in mir vor. Diese
meine Sprache, sagen wir, meine deutsche Sprache, steht mir zur Verfügung. Diese
Sprache mit ihrer jahrhundertealten Tradition, ihren von lyrischen Vorgängern
geprägten sinn- und stimmungsgeschwängerten, seltsam geladenen Worten. Aber
auch die Slang-Ausdrucke, Argots, Rotwelsch, von zwei Weltkriegen in das Sprachbewußtsein
hineingehämmert, ergänzt durch Fremdworte, Zitate, Sportjargon, antike Reminiszenzen,
sind in meinem Besitz. Ich von heute, der mehr aus Zeitungen lernt als aus Philosophien,
der dem Journalismus~nähersteht als der Bibel, dem ein Schlager von Klasse mehr
Jahrhundert enthält als eine Motette, der an einen gewissen physikalischen Ablauf
der Dinge eher glaubt als an Nain oder Lourdes, der erlebt hat, wie man sich
bettet, so liegt man, und keiner deckt einen zu - dies Ich arbeitet an einer
Art Wunder, einer kleinen Strophe, der Umspannung zweier Pole, dem Ich und seinem
Sprachbestand, arbeitet an einer Ellipse, deren Kurven erst äus-einanderstreben,
aber dann sich gelassen ineinander senken. - Gottfried Benn,
Probleme der Lyrik (1951), in: G.B., Essays, Reden, Vorträge. Wiesbaden 1965
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