rovokation Kein Verbrechen war mir fremd,
keine Ruchlosigkeit unbekannt, vor keinem Terror schreckte ich zurück. Ich tötete
mit raffinierten Foltern unschuldige Alte, vergiftete das Wasser ganzer Städte,
zündete zugleich die Haarpracht einer Vielzahl von Frauen an. ich zerriß mit
den Zähnen, wild geworden durch den Vernichtungswillen, alle Kinder, die mir
über den Weg liefen. Nachts suchte ich die Gesellschaft riesiger, schwarzer,
zischender, den Menschen nicht mehr bekannter Monster; ich nahm an unglaublichen
Unternehmungen von Gnomen. Kobolden und Gespenstern teil; ich stürzte mich aus
der Höhe eines Berges hinab in ein nacktes, verwüstetes, von Höhlen voll weißer
Knochen umgebenes Tal; und die Hexen lehrten mich den Schrei hungriger Raubtiere,
der nächtens selbst die Stärksten erschaudern läßt. Doch es scheint, als habe
der. der mich träumt, keine Angst vor dem, was euch Menschen erzittern läßt.
Entweder genießt er den Anblick der schrecklichsten Dinge, oder aber er kümmert
sich nicht darum und erschrickt somit auch nicht. Bis zum heutigen Tage ist
es mir nicht gelungen, ihn zu wecken, und so muß ich weiterhin dieses unwürdige,
servile und irreale Dasein fristen.Wer wird mich also von meinem Träumer befreien? Wann wird der Tag kommen,
der ihn ans Werk ruft? Wann wird die Glocke läuten, wann der Hahn krähen, wann
die Stimme ertönen, die ihn weckt? Ich warte schon seit so langer Zeit auf meine
Befreiung! Ich warte schon so sehnsüchtig auf das Ende dieses dummen Traumes,
in dem ich eine so langweilige Rolle spiele! - Giovanni Papini, Der letzte
Besuch des Kranken Gentleman. In. G.P., Der Spiegel auf der Flucht (Spiegelfluchten).
Stuttgart 1983.
Die Bibliothek von Babel Bd. 19, Hg. Jorge Luis Borges
Provokation (2) »Hör mir mal zu! Er hat eine ganz komische
Einstellung zur Religion.«
»Die haben wir doch alle.«
»Ich habe den starken Verdacht, daß du gar nicht an Gott glaubst«, versuchte
Ronald sie zu provozieren.
»Doch. Ich glaube an einen Gott, der aussieht wie ein Wassermolch, und immer
wenn er quakt, geht in einem Kino eine Bombe hoch.«
Er fragte sich, ob sie ihn zum Besten hielt. Ihre Unwissenheit ärgerte ihn.
Er preßte die Zähne so fest zusammen, daß er den Pfeifenstiel abbiß. -
Irene Dische, Fromme Lügen. Frankfurt am Main 1989