Oifizierslatrine   Die Offizierslatrinen sind mit rotem Samt ausgelegt. Das Dekor ist ein Sicherheitshandbuch, ca. 1930. Was bedeutet, daß die Wände, photographische Graffiti, mit einem Bildkompendium der Grauenvollsten Katastrophen der deutschen Marinegeschichte bedeckt sind, Kollisionen, detonierende Munitionsmagazine, U-Boot-Volltreffer, genau das, was ein Offizier beim Scheißen sehen will. Die Füchse haben alle Register gezogen. Kommandierende Offiziere kriegen ganze Suiten mit privater Dusche oder versenkter Badewanne, einem Maniküremädel (meist BDM-Freiwillige), Sauna, Massagebank. Zum Ausgleich sind dort alle Schotten, Wände und Decken mit überlebensgroßen Hitlerbildern verziert, photographischen Studien seines kompletten Ausdrucksrepertoires. Und das Klopapier! Das Klopapier ist illustriert, Blatt für Blatt, mit Karikaturen von Churchill, Eisenhower, Roosevelt, Chiang Kai-shek, und außerdem gab's einen Stabskarikaturisten, der jenen Kennern und Liebhabern, die immer auf der Suche nach dem Besonderen sind, leere Blätter mit Motiven ihrer Wahl bemalte. Aus dem Funkschapp wurden Wagner und Hugo Wolf in die Lautsprecher gefüttert, und Zigaretten gab's umsonst. Es war ein schönes Leben an Bord des Toilettenschiffs Rücksichtslos auf seinen Törns zwischen Helgoland und Swmemünde, an jeden Ort, wo es gebraucht wurde, getarnt in grauer Kriegsbemalung, Stil der Jahrhundertwende, mit scharfschattigen Bügen, die einem mittschiffs entgegenkamen, so daß man nie recht wußte, in welche Richtung der Dampfer eigentlich fuhr. Die Besatzungsmitglieder wohnten in ihren eigenen Klokabinen, jede mit eigenem Schlüssel und Schloß, Pin-ups und Bücherregale an den Wänden, und es gab sogar Einwegspiegel, so daß man bequem dasitzen, seinen Penis über dem eiskalten Meerwasser in der Schüssel baumeln lassen, dem VE-301-Volksempfänger lauschen und das nachmittägliche Gedrängel beobachten konnte, das geschäftige Trappeln und Babbeln der Füße und Münder, die Runden der Kartenspieler in den Gemeinschaftsklos, die Schieber auf ihren Porzellanthronen, wo sie Schlangen von Besuchern empfingen, die bis auf das Deck hinausreichten (lautlose Schlangen, ganz Geschäft, seriös wie vor Bankschaltern), die Toilettenanwälte, die Rechtsberatungen abhielten, alle Sorten von Besuchern, kommend und gehend, U-Boot-Besatzungen, die gebückt hereingeschlichen kamen und alle zwei Sekunden an die Decke schielten, Matrosen von Zerstörern, die an den Abflußrinnen herumalberten (gigantischen Rinnen, die sich über die volle Rumpfbreite erstrecken, nach der Legende sogar hinaus in den Spiegelraum, und vierzig bis fünfzig pressenden Ärschen nebeneinander Platz bieten über dem stetigen Salzwasserstrom, der hindurchtost), wo es ihr liebster Spaß war, zusammengeknüllte Klopapiere anzuzünden, die sie stromaufwärts auf das Spülwasser setzten, um sich dann glucksend vor Schadenfreude am Anblick der reihenweise von den Löchern hochschnellenden Kacker zu erbauen, die brüllend ihre blasenbedeckten Ärsche umklammerten und den Geruch von versengtem Schamhaar inhalierten.  - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei Hamburg 1981
 
 

Offizier Latrine

 

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