arlowe, Philip  An Mr. D. J. Ibberson  Es ist sehr nett von Ihnen, daß Sie an den Einzelheiten von Philip Marlowes Leben solchen Anteil nehmen. Sein Geburtsdatum ist ungewiß. Ich glaube, er hat irgendwo mal gesagt, daß er achtunddreißig Jahre alt wäre, aber das war schon vor einer ganzen Weile, und er ist bis heute nicht älter geworden. Damit werden Sie sich wohl oder übel abfinden müssen.

Geboren ist er nicht in einer Stadt im Mittleren Westen, sondern in einer Kleinstadt in Kalifornien, die Santa Rosa heißt und, wie Ihnen die Landkarte zeigen wird, etwa fünfzig Meilen nördlich von San Francisco liegt. Santa Rosa ist berühmt als Heimat Luther Burbanks, eines früher weithin bekannten Obst- und Gemüsezüchters. Nicht ganz so bekannt ist es vielleicht als Hintergrund von Hitchcocks Film Shadow of a Doubt, der zum größten Teil direkt in Santa Rosa gedreht wurde. Von seinen Eltern hat Marlowe nie gesprochen, und offenbar hat er keine lebenden Verwandten mehr. Das ließe sich aber, falls notwendig, richtigstellen. Er war ein paar Jahre auf dem College, entweder auf der University of Oregon in Eugene oder auf der State University in Corvallis, Oregon. Warum er dann nach Südkalifornien gegangen ist, weiß ich nicht, falls der Grund nicht war, daß schließlich die meisten Leute das tun, auch wenn nicht alle dann bleiben. Er scheint ein paar Erfahrungen als Ermittler für eine Versicherungsgesellschaft und später als Ermittler für den Staatsanwalt von Los Angeles gesammelt zu haben. Dadurch ist er aber nicht unbedingt Polizeibeamter geworden, und er hatte auch nicht das Recht, Verhaftungen vorzunehmen. Die Umstände, unter denen er diese Stellung verlor, sind mir wohlbekannt, doch kann ich mich darüber nicht des näheren auslassen. Sie werden sich mit dem Hinweis zufriedengeben müssen, daß er einmal ein bißchen zu tüchtig war — zu einer Zeit und an einem Ort, wo der maßgebliche Vorgesetzte just seine Gründe hatte, keine besondere Tüchtigkeit zu wünschen.

Er ist knapp über sechs Fuß groß und wiegt etwa dreizehn Stone acht. Er hat dunkelbraunes Haar, braune Augen, und mit der Beschreibung ›ganz passables Aussehen‹ wäre er nicht im mindesten zufrieden. Ich glaube nicht, daß er hart aussieht. Er kann's nur sein. Wenn ich je Gelegenheit hätte, mir einen Filmschauspieler auszusuchen, der ihn nach meiner Vorstellung am besten repräsentierte, so wäre das, glaube ich, Cary Grant. Ich glaube, er kleidet sich so gut, wie man erwarten kann. Offenbar hat er nicht sehr viel Geld für Kleidung übrig, für anderes allerdings auch nicht. Die Sonnenbrille mit dem Horngestell ist eigentlich nicht charakteristisch für ihn. So etwas trägt in Südkalifornien praktisch jeder irgendwann. Wenn Sie sagen, er trüge sogar im Sommer einen Pyjama, so weiß ich nicht recht, was Sie damit meinen. Wer tut denn das nicht? Standen Sie unter dem Eindruck, er trüge ein Nachthemd? Oder meinen Sie, er könnte bei heißem Wetter auch nackt schlafen? Das letztere ist möglich, obwohl unser Wetter hier selten heiß ist bei Nacht.

Hinsichtlich seiner Rauchgewohnheiten haben Sie ganz recht, obwohl ich nicht glaube, daß er unbedingt auf Camel besteht. Fast jede Zigarettensorte dürfte ihn zufriedenstellen. Der Gebrauch von Zigarettenetuis ist hier nicht so allgemein üblich wie in England. Er verwendet entschieden keine Streichholzheftchen, wo die Hölzer immer Sicherheitshölzer sind. Er benutzt entweder richtig große Streichhölzer, die wir Küchenhölzer nennen, oder deren kleinere Ausgabe, die es in kleinen Schachteln gibt und die man überall anreißen kann, auch am Daumennagel, wenn das Wetter trocken genug ist. In der Wüste oder in den Bergen ist es ganz einfach, ein Streichholz am Daumennagel anzureißen, aber um Los Angeles herum ist die Luftfeuchtigkeit ziemlich hoch.

Marlowes Trinkgewohnheiten sind weitgehend so, wie Sie feststellen. Allerdings glaube ich nicht, daß er Roggenwhisky gegenüber Bourbon den Vorzug gibt. Praktisch trinkt er alles, was nicht süß ist. Gewisse Drinks wie etwa Pink Ladies, Honolulu-Cocktails und Highballs mit Crème-de-mènthe, würde er als schwere Kränkung ansehen. Ja, er macht guten Kaffee. Hierzulande macht jeder guten Kaffee, obwohl man sich das in England nicht vorstellen kann. Er nimmt Sahne und Zucker in seinen Kaffee, keine Milch. Er trinkt ihn aber auch schwarz, ohne Zucker. Sein Frühstück macht er sich selber, was eine einfache Sache ist, andere Mahlzeiten aber nicht. Er ist ein Spätaufsteher aus Neigung, aber gelegentlich ein Frühaufsteher aus Notwendigkeit. Sind wir das nicht alle?

Ich würde nicht sagen, daß sein Schachspiel fast Turnierreife hat. Woher er die kleine in Leipzig erschienene Broschüre mit den Turnier-Partien hat, weiß ich nicht, aber er hängt daran, weil er der kontinentalen Methode der Felderbezeichnung auf dem Brett den Vorzug gibt. Auch ob er als Kartenspieler etwas hermacht, weiß ich nicht. Das ist mir einfach entfallen. Was meinen Sie mit Ihrer Feststellung, er habe ›Tiere nur mäßig gern‹? Wenn man in einem Apartmenthaus wohnt, ist ›mäßig‹ so ungefähr das äußerste, was man sich leisten kann. Es kommt mir so vor, als hätten Sie die Neigung, jede zufällige Bemerkung als Charakteristikum eines bestimmten Geschmacks zu interpretieren.

Was nun die ›offene Fleischlichkeit‹ seines Interesses für Frauen betrifft, so sind das Ihre Worte, nicht die meinen. Ich würde sagen, seine Einstellung gegenüber Frauen ist die jedes einigermaßen kraftvollen und gesunden Mannes, der nur zufällig nicht verheiratet ist und es vermutlich schon lange sein sollte . . . Marlowe kann einen Bryn-Mawr-Akzent nicht erkennen, weil es so etwas gar nicht gibt. Alles, was er mit diesem Ausdruck bezeichnet, ist eine hochnäsige Sprechweise. Ich zweifle sehr, ob er echte alte Möbel von Fälschungen unterscheiden kann. Und ich bezweifle - mit Verlaub - auch, daß viele Experten dazu imstande sind, wenn die Fälschungen was taugen. Die edwardianischen Möbel und die präraffaelitische Kunst übergehe ich. Mir ist einfach nicht erinnerlich, woher Sie Ihre Fakten haben.

Ich würde nicht sagen, daß Marlowes Parfüm-Kenntnisse bei Chanel Nr. 5 zu Ende sind. Das ist nur wieder ein Symbol für etwas, was teuer und zugleich dezent ist. Er mag alle leicht herben Parfüms, aber nicht wenn sie übertrieben intensiv sind. Er ist, wie Sie vielleicht bemerkt haben, selber ein leicht herber Mensch. Natürlich weiß er, was die Sorbonne ist, und er weiß auch, wo sie ist. Natürlich kennt er den Unterschied zwischen Tango und Rumba und auch zwischen Conga und Samba, und er kann auch Samba und Mamba auseinanderhalten, obwohl er nicht glaubt, daß eine Mamba ein galoppierendes Pferd überholen kann. Ich zweifle, ob er den neuen Tanz kennt, der Mambo genannt wird, denn der scheint erst in letzter Zeit entdeckt bzw. entwickelt worden zu sein.

Nun wollen wir einmal sehen, wie weit wir damit kommen. Ziemlich regelmäßiger Kinogänger, sagen Sie, Abneigung gegen Musicals. Stimmt. Könnte ein Bewunderer von Orson Welles sein. Durchaus möglich, besonders wenn Orson einen anderen Regisseur hat als sich selbst. Marlowes Lesegewohnheiten und musikalische Geschmacksrichtungen sind mir ebenso ein Rätsel wie Ihnen, und wenn ich da improvisieren wollte, liefe ich Gefahr, seinen und meinen Geschmack durcheinanderzubringen. Wenn Sie mich fragen, warum er Privatdetektiv ist, so kann ich Ihnen da keine Antwort geben. Offenbar gibt es Zeiten, wo er's lieber nicht wäre, ganz wie es auch Zeiten gibt, wo ich fast alles andere lieber wäre als Schriftsteller. Der Privatdetektiv im Roman ist eine Phantasieschöpfung, die nur handelt und spricht wie ein wirklicher Mensch. Er kann in jeder Hinsicht vollkommen realistisch sein - bis auf die eine, daß ein solcher Mann im Leben, wie wir es kennen, kein Privatdetektiv wäre.  - (cha)

Marlowe, Philip (2) Der Aufsatz im Atlantic hat mir eine ganze Menge Schwierigkeiten eingebrockt. Mr. P. Marlowe, ein simpler, vulgärer Alkoholiker, der nie mit seinen Klientinnen schläft, solange er im Dienst ist, versucht mir auf die feine Tour zu kommen. »Was zum Teufel«, sagt er, »soll das heißen, daß du mich die ganze Zeit im Parterre gelassen hast? Jetzt hast du dich selber entlarvt, und wie stehst du da? Als ein Bursche, der Englisch schreiben kann - so mit Ach und Krach jedenfalls. Also spute dich und schreib was über mich!« Ich kann mir das Ergebnis lebhaft vorstellen. Wenn noch ein Aufsatz von mir im Atlantic erscheint, wird er Gamaschen fordern und ein Monokel und anfangen, altes Zinn zu sammeln.

Es bringt gewisse Nachteile mit sich, wenn man den Leuten auffällt, selbst wenn es sich so in Grenzen hält wie bei mir. Sie fangen an, einem zu schreiben, wie man's machen müßte, und dann fängt man selber an und versucht es so zu machen. Als ich mit dem Schreiben begann, wollte ich einzig und allein mit einer faszinierenden neuen Sprache spielen, um zu sehen, ob sie als Ausdrucksmittel etwas würde leisten können, was vielleicht auf der Ebene ungeistigen Denkens blieb, zugleich aber auch die Kraft besaß, Dinge zu sagen, die gewöhnlich nur mit großem literarischem Aufwand gesagt werden. Es war mir in Wirklichkeit gar nicht wichtig, was für eine Sorte von Geschichten ich schrieb; ich schrieb melodramatisch, weil das, als ich mich umsah, weit und breit die einzige Schreibweise war, die noch relativ ehrlich war und doch nicht versuchte, irgendwem anders sein Parteiprogramm anzuzapfen. Und so gibt es heute Burschen, die auf einmal groß und breit von ›Prosa‹ reden, und andere Burschen, die mir mitteilen, ich hätte ein soziales Gewissen. P. Marlowe hat soviel soziales Gewissen wie ein Droschkengaul. Er hat ein persönliches Gewissen, was eine ganz, ganz andere Sache ist.

Es gibt Leute, die sind der Meinung, ich hielte mich zu sehr bei der häßlichen Seite des Lebens auf. Gott helfe ihnen! Wenn sie auch nur einen blassen Schimmer hätten, wie wenig ich ihnen davon erzählt habe! P. Marlowe interessiert sich einen Dreck dafür, wer Präsident ist; ich ebenso, weil ich weiß, es wird ein Politiker sein. Es gab sogar mal einen komischen Vogel, der mich darüber aufklärte, daß ich einen guten proletarischen Roman schreiben könnte; in meiner beschränkten Welt gibt es so ein Tierchen nicht, und gäb's es doch, so wäre ich der letzte auf der Welt, der es leiden könnte, weil ich aus Tradition und langer Übung ein vollkommener Snob bin. P. Marlowe und ich verachten die oberen Klassen nicht, weil sie immer schön sauber gebadet sind und Geld haben; wir verachten sie, weil sie vor Verlogenheit stinken. - (cha)

Detektiv Menschen, wirkliche
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