Leute, gutsituierte    Das Alltagsleben war durchsichtig. Wir verkehrten mit gutsituierten Leuten, die laut und klar sprachen und ihre Überzeugungen auf gesunden Grundsätzen aufgebaut hatten, auf der Weisheit der Völker, und die sich vom gemeinen Volk nur durch einen gewissen seelischen Manierismus zu unterscheiden geruhten, der mir durchaus vertraut war. Kaum waren sie ausgesprochen, schon überzeugten mich ihre Ansichten durch die kristallklare und höchst einfache Evidenz; wollten sie ihr Verhalten rechtfertigen, so gaben sie so langweilige Erklärungen dafür ab, daß diese Erklärungen unbedingt wahr sein mußten; ihre wohlgefällig dargelegten Gewissensskrupel wirkten auf mich weniger beunruhigend als erbaulich; es waren falsche Konflikte, deren Lösung von vornherein feststand, immer die gleichen; wenn sie ein Unrecht zugaben,,so wog es nicht schwer: eine Übereilung, eine berechtigte, aber zweifellos übertriebene Verärgerung hatten ihren Urteilssinn getrübt: sie hatten es glücklicherweise rechtzeitig bemerkt; die Schuld der Abwesenden war wesentlich schwerer, aber niemals unverzeihlich: bei uns gab es keine böse Nachrede, man stellte nur bedauernd die Fehler eines Charakters fest. Ich hörte zu, ich verstand, ich war einverstanden, ich fand solche Äußerungen beruhigend und hatte recht damit, denn sie waren zur Beruhigung bestimmt: nichts ist unheilbar, und in der Tiefe bewegt sich nichts, die vergeblichen Erregungen an der Oberfläche dürfen uns nicht vergessen lassen, daß sich darunter eine tödliche Stille verbirgt, die unser Los ist.    - Jean-Paul Sartre, Die Wörter. Reinbek bei Hamburg 1968
 

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