ebenszeichen Überblicken wir einmal im Zusammenhang den ganzen Lebenskreis der Pflanze: wie die Säfte in ihr so regsam quellen, wie es sie drängt, Augen und Zweige zu treiben und rastlos an sich selber zu gestalten, wie sie mit der Krone gen Himmel und mit der Wurzel in die Tiefe trachtet, selbstmächtig, ohne daß sie jemand dorthin zöge oder den Weg ihr dahin wiese; wie sie den Frühling mit jungen Blättern, den Herbst mit reifen Früchten grüßt, einen langen Winter schläft und dann von frischem zu schaffen beginnt, im Trocknen die Blätter hängt und in der Frische sie aufrichtet, sich am Tau erquickt, als Schlingpflanze umherkriecht, die Stütze zu suchen, - wie die Blume erst in der Knospe still verborgen ruht und dann ein Tag kommt, wo sie sich dem Lichte öffnet, wie sie Düfte auszuströmen beginnt und in Wechselverkehr mit Schmetterlingen, Bienen und Käfern tritt, wie das Geschlecht in ihr rege wird, sie morgens sich auftut, des Abends oder vor dem Regen schließt, dem Lichte zuwendet, - und es deucht mich, daß es uns doch schwerfallen sollte, diesen ganzen schwellenden und quellenden, an innerem und äußerem Wechsel so reichen Lebenskreis vergeblich, öde, leer für die Empfindung zu denken.
Freilich sind es nicht Zeichen der Empfindung eines Menschen, einer Katze,
eines Sperlings, eines Fisches, eines Frosches, eines Wurms, was wir hier erblicken;
es sind Zeichen der Empfindung, einer Tanne, einer Weide, einer Lilie, einer
Nelke, eines Mooses. Aber das Seelenleben der Pflanzen soll ja das der Tiere
nicht wiederholen, sondern ergänzen. Und ist nicht doch genug Analogie in jenen
Lebenszeichen sogar mit unseren eigenen, um die Pflanzen noch als unsere Seelenverwandten
anzusehen; wären wir nur nicht so übermäßig stolz auf unsere Beine, mit denen
wir über sie hinlaufen und sie darniedertreten, als reichte es schon hin, Beine
zu haben, um auch einer Seele den Vorrang abzulaufen. Ja, könnten die Pflanzen
laufen und schreien wie wir, niemand spräche ihnen Seele ab; alle jene mannigfaltigen
und zarten und stillen Zeichen von Seele, die sie von sich geben, wiegen uns
nicht so viel als jene groben, die wir an jenen vermissen; und doch sind die
Pflanzen wahrscheinlich bloß stumm für uns, weil wir taub für sie sind. Doch
sagen wir selber von einer Pflanze, die in der Dürre steht, sie sehe traurig
aus, sie lechze, schmachte. Sollten denn aber wir mehr von dem Trauern, dem
Lechzen, Schmachten jener Pflanze fühlen als sie selber, die wir vielleicht
ganz vergnügt dabei aussehen, während sie die Blätter hängt und im Begriff ist,
zu vergehen? Es scheint ihr doch nach allen Zeichen näherzugehen als uns. Und
warum sagen wir nie ebenso von einer künstlichen Blume, daß sie uns anlache
wie eine lebendige, sei sie auch noch so ähnlich der lebendigen? Warum anders,
als weil wir nur in dieser, nicht in jener eine wirklich lachende Seele ahnen.
Christus schalt die Juden, welche Zeichen und Wunder verlangten, um zu glauben;
sind wir nicht schlimmer als die Juden, die wir die Zeichen und Wunder einer
lebendigen Seele wirklich sehen und dennoch nicht an sie glauben wollen? Was
wollen wir denn sonst noch sehen, um zu glauben? - Gustav Theodor
Fechner, Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen. In:
G. T. F., Das unendliche Leben. München 1984 (zuerst 1848)
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