rankheit,
redende
Das delirierende Fließen der Stimme ist kein Plapperreim und
kein Gemurmel, sondern ein ununterbrochener Klangfluß, aus dem man nur schwer
einzelne Vokale oder Konsonanten heraushören kann; das Ganze liegt vielmehr
irgendwo zwischen Gestöhn und Sermon, Grabrede und Festansprache; und nun höre:
wie es sich aufbäumt, wie es transzendiert und fleht - dünkt dir da nicht, daß
eine schicksalhafte Beziehung zwischen deiner Auskultation und diesem Leiden
besteht, das bereits versucht, die Gesetze einer Grammatik zu formulieren, obwohl
es noch in die Öde der Nacht, des Dorfs und deines Hörens verstrickt ist? In
Wirklichkeit kannst du dieser ungenauen Klage nicht entfliehen, aber du kannst
auch nicht bewirken, daß sie keine Klage sei, noch kann die Klage bewirken,
daß du nicht zuhörst, und deshalb kann auch die Krankheit, wenn es sie gibt
- und es könnte ja gerade sie sein, die da spricht — nicht existieren, außer
weil du sie hörend als Krankheit akzeptierst, indem du sie als das erkennst,
was in dir Krankheit ist; und wäre es da nicht vernünftig zuzugeben, daß das,
was du hörst, deine eigene Krankheit ist und diese Krankheit das, was du der
Rede weihst, und daß es diese Rede gar nicht gäbe, wenn es deine Krankheit nicht
gäbe, oder besser, wenn deine Art des Seins nicht darin bestünde, eine Krankheit
zu sein? Es ist seltsam, wie es auf jedweder Ebene unmöglich ist, über das Reden
zu reden, ohne sich fortgesetzt zu wiederholen, so daß es nicht unmöglich erscheint
- zumal dieses leise Irrereden, das wir gemutmaßt hatten, unendlich repetitiv
ist - daß diese ständig wiederholten Silben der Anfang einer Rede über die Rede
sind, und deshalb müssen wir annehmen, daß die Rede beginnt, sich selbst als
Rede zu erkennen, auch wenn der Preis des Sich-Erkennens das Delirium ist. Aber
was wird geschehen, wenn das Delirium mit seiner Kohärenz einmal endet? Denn
wir haben den Schlaf in Wachschlaf übergehen und den Wachschlaf wachsen und
zur Krankheit werden hören; und wenn wir jetzt annehmen, daß die Iteration ein
Indiz für ein Selbstgespräch der Rede sei, dann brauchst du dich nicht zu wundern,
wenn die Rede -ohne ihre unordentliche Folge von Vokalen, Konsonanten und Silbenentwürfen
zu ändern - etwas anderes wird, auch wenn sich ihr unentziffertes Strömen nicht
wandelt. - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
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