inogänger
ich traue mir zu, Ihnen rote Lackschühchen zu machen, wie ich sie einmal
der Schwester vom Doktor Karafiát gemacht habe, die eine große Schönheit
war, nur daß sie ein Glasauge hatte, was sehr unangenehm ist, weil man nie weiß,
was damit passiert, ein Mützenmacher aus Proßnitz erzählte mir gelegentlich,
daß er mit so einer einmal im Kino war, daß sie niesen
mußte und daß das Glasauge herausgeflogen ist, in der Pause haben die beiden
es gesucht, und als sie es unter einem Sitz gefunden hatte, putzte sie es ab,
hob das Augenlid - flup! ein paarmal kurz geblinzelt
und erledigt war die Sache
- (
hra
)
Kinogänger (2) Der Tränenwärmer geht täglich ins Kino. Es muß nicht immer etwas Neues sein, ihn zieht es auch zu alten Programmen, Hauptsache ist, daß sie ihren Zweck erfüllen und ihm reichlich Tränen entlocken. Da sitzt man von anderen ungesehen im Dunkel und wartet auf Erfüllung. Es ist eine kalte, herzlose Welt und ohne das warme Naß auf den Wangen zu fühlen, möchte man nicht leben. Sobald die Tränen zu strömen beginnen, wird einem wohl zumute, man ist sehr still und man rührt kein Glied, man hütet sich davor, mit dem Taschentuch etwas wegzuwischen, jede Träne soll ihre Wärme bis zur Neige spenden und ob sie nun bis zum Mund gelangt oder bis zum Kinn, ob es ihr gar gelingt, übern Hals und bis auf die Brust zu fließen, — er nimmt es mit dankbarer Zurückhaltung an und erhebt sich erst wieder nach einem ausgiebigen Bade.
Der Tränenwärmer hatte es nicht immer so gut, es gab Zeiten, da er auf eigenes
Unglück angewiesen war und wenn das nicht kam und auf sich warten ließ, meinte
er oft zu erfrieren. Er wand sich unsicher im Leben hin und her, einem Verlust,
einem Schmerz, einer unstillbaren Trauer entgegen. Aber die Leute sterben nicht
immer, wenn man traurig sein will, die meisten haben ihr zähes Leben und bocken.
Es kam vor, daß er auf ein ergreifendes Ereignis gefaßt war, schon begannen
sich ihm die Glieder wohlig zu lösen. Aber dann - man dachte schon hart daran
zu sein -, dann geschah nichts, man hatte viel Zeit verschwendet und mußte sich
nach einer neuen Gelegenheit umsehen und mit der Erwartung von vorn beginnen.
- (
can
)
Kinogänger
(3) Die Platzanweiser sind eingeschlafen. Ich habe seit
mehr als einer halben Stunde den Blick auf das Haar des Mädchens in der dritten
Reihe geheftet. Sie dreht sich nicht um, aber ich bin sicher, daß sie nunmehr
um meine Gegenwart weiß. Sie ahnt dunkel, daß ich da bin, in ihrem Rücken, und
daß ich ihr, wenn auch stumm, dafür danke, daß sie geboren wurde und jetzt,
inmitten dieses ganzen Wahnsinns, an meiner Seite ist. - (
tom
)
Kinogänger
(4) Ich bin oft ins Kino gegangen. Schon in Madrid und
danach in Paris. Selbstverständlich hat man dabei seine Begleiterin befummelt.
Das war der einzige Ort. wo man das konnte. Denn sonstwo haben sie einen nicht
'rangelassen, weder in der Sonne noch im Schatten. Nieht daran zu denken, mit
ihr Hand in Hand zu gehen. Das wäre ein Skandal gewesen. Im Kino war das etwas
anderes. Aber abgesehen davon, gefielen uns ganz besonders die komischen Filme
aus den USA: Ben Turpin, Fatty, Buster Keaton, Harald Lloyd und Harry Langdon.
Das machte uns ungeheuren Spaß. Genau wie die Western. - Luis Buñuel, nach: Max Aub / Luis Buñuel, Die Erotik und andere Gespenster.
Berlin 1986
Kinogänger
(5) Ich hatte nicht einmal so viel Kultur, daß ich um
ein Mädchen werben konnte, wenn vor mir ihr Arsch die Hose spannte. Darum kniff
ich doch weg von der Türkenstraße ins Kino, weil ich auch leben wollte. i327mal
bin ich im Kino gewesen und nicht annähernd oft bei Frauen gelegen. Alle Frauen,
mit denen du schläfst, werden sowieso zum Vorspiel einer Niegegebenen. Von Frauen
taucht später nichts auf als die Veränderung, die sie an dir bewirkt haben:
rascheres Altern. Wahllos m Filme gekommen, für die ich zu dumm gewesen wäre,
hätte ich Hinweise gelesen, die sich irgend ein Schlaumeier abgeklemmt hat,
kam ich in Filme, die ich sonst nie gesehen hätte. »Das Schweigen« zum Beispiel
von Ingmar Bergmanist von einer Pressekampagne für immer an mir vorbeiinterpretiert
worden. "Wer entschädigt mich für diesen Verlust? Im Kino will ich nicht
denken, sondern sehen. Im Kino will ich mich spüren. Auf ein Kino, in dem ich
mich nicht wieder meiner Gefühlswelt vergewissern kann, pfeif ich. Vom Kino
verlange ich ein Rechtsempfinden zurück. Zur Erhaltung meines Lebens war immer
das Kino nötig. Zu viel ist mir in die Träume abgewandert. Flüchtlingsprobleme
verstand ich erst durch »Casablanca« von Michael Curtiz. Erst nach Reinhard
Hauffs »Die Verrohung des Franz Blum« konnte ich mich der beunruhigenden Nähe
der Gefängnisse erwehren. Ich mußte das meiste auf der Leinwand sehen, weil
ich nicht so viel Zeit zum Schlafen hatte, all die Beängstigungen, die mich
tagsüber ansegelten, in Träumen abzutakeln. Nachdem ich den langen Schritten
des gerissenen Groucho Marx zugesehen hatte, war ich wieder einem Sinn meines
Lebens auf der Spur, fuhr nach dem Kino gleich mit der Linie 21 nach Ramersdorf
heim und übte mich im Schreiben. Und ich erzog mir die Sprache zum Bösewicht.
- Herbert Achternbusch, Die Stunde des Todes. Frankfurt am Main
1975
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