otel, historisches Ich sitze in Lublin an der Bystrzyca, in einem,
wie man mir sagt, guten Hotel. Die Stadt ist schon im 10. Jahrhundert gegründet;
Zeuge ist mein Hotel. Trete ich in dies Hotel, abends, so ist ein Portier da,
liegt wie eine Sarkophagfigur in einer Kammer im Hintergrund, hat die Mütze
ins Gesicht gezogen und versteht nicht. Gibt er dann Zeichen, so antwortet er
nur einem Traumbild, hat nur verstanden, was der Traum zuließ. Ich gehe die
Treppe hinauf. Ihr Geländer ist aus beinahe echtem Marmor, vorläufig aus weißlackiertem
Holz. Ich wohne im zweiten Stock. Die Wände wurden geweißt, geölt, im 10. Jahrhundert.
Später ergrauten sie, einem natürlichen Antrieb folgend. Noch später ist das
Hotel mehrfach in Kriegsgebiet geraten; innerhalb des Hotels wurde mit Mitrailleusen
geschossen; manche Wände und Türen strotzen von Löchern, Rissen. Die Hotelverwaltung,
historisch geschult, achtet auf Konservierung der Spuren. Seit da haben sich
auch im Hotel Kriegsgebräuche vererbt: man brüllt wie zur Attacke frühmorgens
auf den Gängen, führt zum Erschrecken wilde Gespräche durch die Tür. Und unter
mir, auf dem Hof, hat man eine Maschine aufgerichtet, die von sechs Uhr abends
bis etwa um vier Uhr nachts arbeitet und wie eine Lokomotive faucht. Man legt
sich ins Bett, das pufft im Takt, und man hat rasch das Gefühl, im Krieg zu
sein oder Schlafwagen zu fahren; eine kostenlose Illusion.
Zu den erstaunlichsten Dingen in diesem Hotel gehört meine Tür.
Ich bemerkte schon beim Durchwandern der Korridore, daß es mit den Klinken hier
eine Bewandtnis hat. Wir sind nicht mehr recht an das Handwerk des 10. Jahrhunderts
gewöhnt. An der Hauptstraße, der «Krakauer Vorstadt», steht das Denkmal, der
Obelisk, zur Erinnerung an die Vereinigung von Polen und Litauen. Ein viel älteres
Denkmal, von archäologischem Charakter, sind die Türklinken
des Hotels, in dem ich jetzt schreibe, - auf dem Bette sitzend, weil die Schnur
der elektrischen Lampe nicht zum Tisch reicht [zur Zeit der Jagellonen, auch
unter König Sigismund August hat man hier noch nicht geschrieben]. Die Türen
des Hotels sehen von außen unscheinbar aus, etwas petrefakt und wurmstichig,
aber doch wie gewöhnliche Türen. Erst beim Umgehen oder dem Versuch, mit ihnen
umzugehen, merkt man, was oder wen man vor sich
hat. Die Dinge haben hier eine Art Charakter. Gewöhnliche Wesen sterben im Laufe
der Zeit, andere nehmen alternd eine besondere Lebendigkeit
an. - Alfred Döblin, Reise
in Polen. München 1987 (zuerst 1925)
|
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
|
|
|
![]() ![]() |
![]() ![]() |