leck, weißer Arm in Arm, um aul dem vereisten Schnee nicht auszurutschen, stiegen wir die von vereinzelten Straßenlaternen nur spärlich beleuchtete Rue de la Roquette hinauf. Mit uns bewegten sich Schatten, die sich bald in Zylinderhüte, im Trott fahrende Fiaker und Gruppen von Vermummten auflösten und sich vor einer Straßenverbreiterung unter dem höheren und schwärzeren Schatten des Gefängnisses versammelten.
Eine geheime Welt traf sich hier, reichte sich Flaschen,
die von Hand zu Hand gingen, wiederholte einen Scherz, der unter Gelächter und
erstickten Schreien die Runde machte. Es gab auch jähes Schweigen und Gesichter,
die für einen Moment von einem Streichholz beleuchtet wurden, indes wir uns
mühsam unseren Weg bahnten und achtgaben, uns nicht zu verlieren, als ob jeder
wüßte, daß nur der Wille der Gruppe seine Anwesenheit an diesem Ort verzeihen
konnte. Die Maschine stand auf ihren fünf Sockeln aus Stein, und der ganze Justizapparat
wartete regungslos in dem schmalen Raum zwischen ihr und der Abteilung Soldaten,
die ihre Gewehre bei Fuß und ihre Bajonette gefällt hatten. Josiane grub mir
ihre Nägel in den Arm und zitterte so heftig, daß ich ihr vorschlug, sie in
ein Cafe zu begleiten. Aber so weit man schauen konnte, gab es kein Cafe, und
sie wollte auf keinen Fall von hier fortgehen. Sie hing sich an mich und an
Albert, sprang mitunter ein wenig in die Höhe, um die Maschine besser sehen
zu können, schlug mir abermals die Nägel in den Arm und zwang mich schließlich,
den Kopf so weit nach unten zu halten, bis ihre Lippen meinen Mund fanden. Sie
biß mich hysterisch, während sie Worte flüsterte, die ich nur selten von ihr
gehört hatte und die mich mit Stolz erfüllten, als wäre ich für einen Augenblick
ihr Herr und Gebieter. Der einzige Sachverständige unter uns war Albert, der,
eine Zigarre rauchend, die Minuten totschlug, während er Vergleiche zu anderen
Zeremonien zog und sich das letzte Verhalten des Verurteilten vorstellte, die
Reihenfolge, die in eben diesem Augenblick im Innern des Gefängnisses eingehalten'
wurde und die er aus Gründen, die er verschwieg, in allen Einzelheiten kannte.
Am Anfang hörte ich, begierig, die winzigsten Teile dieser Liturgie kennenzulernen,
zu, bis ich allmählich aus einer Ferne, die sehr viel weiter weg war als er,
Josiane und das Jubiläumsfest, von etwas durchdrungen wurde, das wie ein Vergessen
war, ein unerklärliches Gefühl, daß das alles auf diese Weise nicht hätte geschehen
dürfen, daß etwas die Welt der Galerien und Passagen in mir bedrohte, oder schlimmer
noch, daß mein Glück in dieser Welt ein lügnerisches Vorspiel gewesen war, eine
Blumenfalle, so als ob eine der Gipsfiguren eine trügerische Girlande nach mir
geworfen hätte. (Und ich hatte in dieser Nacht geglaubt, daß alle Dinge so miteinander
verflochten waren wie die Blumen einer Girlande.) Am Ende würde ich Laurent
ausgeliefert sein, aus dem unschuldigen Rausch der Galerie Vivienne auftauchen
und aus Josianes Dachkammer langsam in den großen Schrecken eingehen, in den
Schnee, den unvermeidlichen Krieg, in die Apotheose der fünfzig Jahre des Wirts,
in die im Morgenrot erstarrten Fiaker, bisjosiane den Arm hob und sich schwor,
nicht hinzusehen, und sie an meiner Brust schon die Stelle suchte, wo sie im
letzten Augenblick ihren Kopf verstecken wollte. Mir schien - und es öffneten
sich in diesem Moment die Gittertüren, und man hörte die kommandierende Stimme
des wachhabenden Offiziers -, daß dies alles in irgendeiner Weise ein Ende bedeutete,
ich wußte nicht genau, wovon, denn wie auch immer, ich würde weiterleben, an
der Börse arbeiten, Josiane ab und zu sehen, auch Albert und Kiki, die nicht
davon abzubringen war, mir hysterisch auf die Schulter zu klopfen. Ich mußte,
auch wenn ich meinen Blick nicht von der Gittertür nehmen wollte, ihr für einen
Augenblick Aufmerksamkeit schenken und ihren halb überraschten, halb spöttischen
Augen folgen, und so konnte ich unmittelbar neben dem Wirt die ein wenig gekrümmte
Silhouette des Südamerikaners unterscheiden, eingehüllt in seinen schwarzen
Havelock. Verwundert dachte ich, daß auch das irgendwie in die Girlande paßte
und es ein wenig so war, als ob eine Hand nun noch die eine Blume hineinflocht,
die vor Tagesanbruch die Girlande abschließen würde. Ich konnte nicht weiterdenken,
denn Josiane preßte sich stöhnend an mich, und im Schatten, den die beiden Straßenlaternen
am Eingang bewegten, ohne ihn ganz auflösen zu können, erschien jetzt der weiße
Fleck eines Hemds, als schwebte es zwischen zwei schwarzen Silhouetten; es tauchte
auf und verschwand jedesmal, wenn ein dritter, umfangreicher Schatten sich mit
den Bewegungen eines, der etwas umarmt oder jemand ermahnt oder etwas ins Ohr
sagt oder etwas zum Kuß reicht, sich darüber beugte und schließlich auf die
Seite trat, und der weiße Fleck, von einer Gruppe von Menschen in Zylindern
und schwarzen Mänteln eingefaßt, sich deutlicher zeigte. Es entstand nun etwas
wie ein überstürzter Taschenspielertrick, ein Verschwindenlassen des weißen
Flecks durch die beiden Gestalten, die bis zu diesem Augenblick ausgesehen hatten,
als seien sie ein Teil der Maschine; eine Geste, die einen nunmehr unnötigen
Mantel von der Schulter riß, eine hastige Bewegung nach vorn, ein erstickter
Schrei, den irgendwer ausgestoßen haben konnte; Josiane, die sich krampfhaft
an mir festhielt; der weiße Fleck, der unter dem Gerüst wegzugleiten schien,
wo etwas sich loshakte und man einen Peitschenknall und eine Erschütterung gleichzeitig
wahrnahm. Ich glaubte, Josiane fiele in Ohnmacht, mit dem ganzen Gewicht ihres
Körpers glitt sie der Länge nach an meinem Körper hinab, wie der andere Körper,
der ins Nichts gleiten würde. Ich beugte mich vor, um sie zu halten, während
der enorme Knoten im Hals sich löste beim Ausklang einer Messe, dem Brausen
einer Orgel auf der Höhe - aber es war ein Pferd, das beim Geruch des Blutes
zu wiehern begann. -
Julio Cortázar, Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am
Main 1998
|
||
|
|
|