ugenmuskeln Gewiß,
die Wunde ist nicht bösartig, die Blutungen haben aufgehört,
das Essen schmeckt schon wieder. Und doch wird man ihn als Leiche, starr wie
ein Brett, aus diesem Zimmer tragen. Denn als er vorhin seinen abgemagerten
Arm um deinen Hals geschlungen hat, während du die Kissen richtetest, da machte
es ihm Mühe, den Arm wieder gerade zu biegen. Und jetzt, beim Ansagen, wie schwer
er zu verstehen ist, weil er den Mund zu wenig öffnet. Bald werden die Kiefermuskeln
ganz erstarren, er wird nicht einmal mehr flüstern können, es wird immer schwieriger
werden, den Löffel mit Brei zwischen seine Zähne zu zwängen, und schließlich
wird man ihn künstlich ernähren. Eines Nachts wird er die Knie anziehen und
wird sie nie mehr ausstrecken können. Spitz stechen sie durch die Decke, und
sie werden so durch das Leichentuch stechen, wenn wir ihn, ein leichtes Gerippe,
ins Totenhaus tragen. Er aber weiß es noch nicht. Je regungsloser sein Körper
wird, um so lebhafter wandern seine Augen von einem Gesicht zum andern und fragen
entsetzt: Was ist mit mir? Und sie wandern auch noch, wenn er die gräßliche
Wahrheit begriffen hat. Denn die Augenmuskeln sind die einzigen, die bis zuletzt
ihren Dienst nicht versagen. -
Wieland Herzfelde, Immergrün. Merkwürdige Erlebnisse und Erfahrungen eines fröhlichen
Waisenknaben. Berlin 1949
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