ynikerin   Krates hatte einen Schüler, der hieß Metrokles und war ein reicher junger Mann aus Maronea. Seine Schwester Hipparchia, so schön und vornehm sie war, verliebte sich in den Krates. Es steht fest, daß sie von Liebe zu ihm ergriffen war und ihm nachlief. Die Tatsache erscheint unmöglich, ist aber gesichert. Sie ließ sich durch nichts abschrecken, durch keinen Schmutz, durch keine gänzliche Armut, nicht einmal durch den Schauder vor einem Leben in solcher völligen Öffentlichkeit. Krates warnte sie: er lebe nach der Weise der Hunde auf der Gasse und stöbere nach den Knochen in den Kehrichthaufen. Er erklärte ihr, daß sich ihr Leben vor aller Augen abspielen werde und er sie besitzen würde vor allen Leuten, wann immer ihn die Lust dazu ankäme, genau so, wie die Hunde es mit den Hündinnen treiben. Das alles erwartete sich Hipparchia nicht anders. Ihre Eltern wollten ihr nicht nachgeben, da drohte sie mit Selbstmord. Sie hatten Mitleid mit ihr. Hipparchia verließ also das Städtchen Maronea, gänzlich entblößt, mit hängenden Haar, nur mit einer alten Decke versehn, und sie lebte mit Krates und trug sich wie er. Er soll auch ein Kind von ihr gehabt haben, Pasikles; doch weiß man nichts Sicheres darüber.

Die genannte Hipparchia war anscheinend gütig zu den Armen, und voll Teilnahme; sie streichelte die Kranken; sie leckte ohne jeden Ekel die blutenden Wunden der Leidenden, in dem Gefühl, diese seien für sie das, was die Schafe für die Schafe sind und die Hunde für die Hunde. War es kalt, so legten sie sich zu den Ärmsten, eng an sie gepreßt, und gaben sich Müh, ihre Leibeswärme mit ihnen zu teilen.   - Marcel Schwob, Der Roman der zweiundzwanzig Lebensläufe. Nördlingen 1986 (Krater Bibliothek, zuerst 1896)

Zynikerin (2)   Barberines Zynismus schwankte so haargenau zwischen Frechheit und Unschuld, daß man nicht wußte, ob sie sich nicht selber betrog, und sie verband ihren Vorteil und ihr Vergnügen mit einer so sonderbaren und geriebenen Meisterschaft, daß keiner je erfuhr, welchem von beiden sie den Vorzug gab. Als ihr Liebhaber, ein bereits etwas gedunsener Junggeselle, rasch alterte, jagte Barberine ihn nicht davon; man sah sie nur, zu seiner Entlastung, einen zweiten nehmen, einen Jungvermählten, dessen Ehe schlecht, dessen Geschäft gut ging, und von dem Tage an, wo Barberine die Geliebte dieses Peguevignol wurde, ging Pèguevignols Ehe gut und sein Geschäft noch besser! Frau Pèguevignol war glücklich; Pèguevignol verstand nämlich nicht, mit seinen Lastern vernünftig hauszuhalten, Barberine lehrte es ihn. «Du darfst deiner Frau nichts abschlagen», riet sie ihm, «vor allem keine Kinder: dafür ist sie ja da. Für das Vergnügen hast du mich.»

So war Frau Pèguevignol immer wehrlos, von einer nahen Niederkunft erschöpft oder mit was Kleinem beschäftigt; brauchte sie etwas, ließ sie es Barberine ausrichten, die sich dann bei Peguevignol für sie verwandte und das Gewünschte erreichte; da Frau Pèguevignol aber, kaum daß das Letztgeborene ihr von den Armen sprang, undankbar zu werden begann und über eine so ungerechtfertigte Vermittlung in Wut geriet, schickte Frau Tambonnin Pèguevignol, der nicht von ihrer Seite wich, unverzüglich zu Frau Pèguevignol, die er bis zu ihrem ersten Erbrechen nicht wieder verließ.

«So, nun werden wir zwei Jahre lang Ruhe haben», murmelte er, wenn er seinen Platz vor Barberines Kamin wieder einnahm, und Barberine erwiderte: «Die Dinge im Leben gehen nur schief, wenn man es an Klugheit und Nächstenliebe fehlen läßt. Jeder hat ein Recht auf seinen Anteil am Glück. Wenn ich, die ich keine Egoistin bin, den meinen habe, so will ich, daß alle andern in meiner Umgebung zufrieden sind.»   - Marcel Jouhandeau, Barberine oder Das Cache-Pô. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964

 

Zynismus Philosophin

 

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