willingsbrüder
Ich sage Zahlen und Volkslieder
vor mich hin, um mich müde zu machen. Ich kann nicht
einschlafen. Aber dann schlafe ich doch ein und träume. Ich träume von zwei
nackten, hässlichen Zwillingsbrüdern, die sich an den Hüften umschlungen halten
und einen Berg hinab hüpfen. Sie singen aus Leibeskräften: das Wandem ist des
Müllers Lust, das Wandern ist des Müllers Lust, das Wa-a-ndern. Der Boden unter
ihren Füssen wimmelt von dicken schwarzen Kröten, die
sie mit ihren grossen Füssen zerstampfen. Ich schlafe und träume von zwei nackten
Zwillingsbrüdern, die in einem Meer von blutigen, schwarzen Kröten waten und
wilde Sprünge ausführen. Sie stossen mit ihren grossen Köpfen aneinander und
reissen sich an den Haaren. Sie packen sich bei den Falten ihrer hängenden Bäuche
und kratzen sich die Gesichter blutig. Ein Schmetterling von grosser Schönheit
setzt sich dem einen Bruder auf die Schulter. Seine Flügel sind schwarz und
rot. Der eine Zwilling fängt diesen schönen Schmetterling von der Schulter seiner
Bruders und zerdrückt ihn in seiner Faust. Aus Zorn über diese schändliche Tat
erwache ich. Der Wind heult noch immer um meinen
Turm und die Fledermaus hat meinen Kopf verlassen. - Unica Zürn, Die Trompeten von
Jericho. In: U. Z., Das Weiße mit dem roten Punkt. Texte und Zeichnungen. Frankfurt am Main - Berlin
1988
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