wangsernährung   Der Saal, durch den sie mich führten, war lang und schwach beleuchtet. Ich konnte den Arzt vor mir hergehen hören, der so ging, wie alle Ärzte gehen, mit jenem zuversichtlichen kurzen Schritt, wie ihn Pferde haben müssen, die von einer Beerdigung zurückkehren. Das ist kein trauriger oder kummervoller Schritt; vielleicht deutet er unterdrückte Genugtuung an.

Hin und wieder wandte einer der vier Männer, die folgten, den Kopf und sah mich an; eine Frau an der Treppe starrte verwundert - oder war es verächtlich? —, als ich vorbeikam.

Sie brachten mich in ein großes Zimmer. Ein Tisch funkelte vor mir. Für mein Gefühl war er befrachtet mit kommenden Qualen - das war der Tisch, auf den ich mich legen mußte.

Der Arzt öffnete seine Tasche und nahm einen schweren weißen Mantel heraus, eine kleine weiße Kappe, ein Laken und legte alles zusammen auf den Tisch.

Draußen tönte, zusammenhängend und dann doch wieder nicht, schwach ein tiefes, einförmiges Summen über die Stadt hinweg - das Lied von einer Million Maschinen, die ihr Scherflein zum universalen Ganzen beitrugen. Und dies Murmeln war vital und verwirrend, denn das, was mir bevorstand, kannte kein Lied.

Ich werde es strikt professionell handhaben, versicherte ich mir selbst. Falls es eine Höllenstrafe sein sollte, dann doch eine, die meinem Geschlecht heutzutage vertraut ist; andere Frauen haben sie in der Wirklichkeit durchlitten. Ich werde doch noch soviel Mumm haben wie meine englischen Schwestern? Ich beruhigte mich. Das dachte ich jedenfalls, und ich erblickte mein Gesicht im Spiegel. Es war ganz weiß, und ich schluckte krampfhaft.

Und dann wußte ich, meine Seele stand entsetzt vor einem Stück rotem Gummischlauch.

Der Arzt sagte: »Helfen Sie ihr auf den Tisch.«

Er knotete sich dünne, gedrehte Schnüre um den Arm; er testete seine Instrumente. Er nahm das herunterhängende Ende des Lakens und begann, mich zu fesseln: er wickelte es mehrfach um mich herum, wobei meine Arme fest an beide Seiten gepreßt waren, wickelte es mir bis hinauf an die Kehle, so daß ich mich nicht bewegen konnte. Ich lag ausgestreckt wie ein Leichnam -gleichförmige, festumrissene Linien, die weiter reichten, als ich zu sehen vermochte, denn ich sah nur das Licht des Himmels. Meine Blicke wanderten, Ausgestoßene in einer Welt, die sie kannten.

Es war der gedrängteste Augenblick meines Lebens.

Drei der Männer traten zu mir. Der vierte stand ein Stück entfernt und blickte auf die langsam vorwärtskriechenden Zeiger einer Armbanduhr. Die drei hielten mich fest, nicht grob, aber ohne jegliches Mitgefühl, der eine am Kopf, der zweite an den Füßen, und der dritte reckte sich über mich und hielt meine Hände nieder.

Sämtliche Probleme des Lebens waren nun auf einen einzigen schlichten Akt reduziert - zu schlucken oder zu ersticken. Während ich in passiver Auflehnung dalag, ging mir ein komischer Gedanke durch meinen heimgesuchten Kopf: Dies hier ist jedenfalls mal ein Bild, das niemals Eingang ins Familienalbum finden wird.   - Djuna Barnes, New York. Berlin 1987 (zuerst 1914)

 

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