ungenreden  Der Heilige Geist war für die frühen Christen auch ein Stimulans zum Erreichen höherer Bewußtseinszustände durch das sogenannte »Zungenreden«: das Hervorbringen von sprachlichen Lauten jenseits von gewöhnlicher Sprache und verstehbarem Sinn. Diese sogenannte »Glossolalie« (griechisch glossa, »Zunge« + lalein. »schwatzen, lallen«) erfreute sich in der Zeit der Apostel großer Beliebtheit, wenngleich der heilige Paulus nicht viel von ihr hielt.

Das Zungenreden wird in der Apostelgeschichte erwähnt und hat Anlaß zu allerlei Spekulationen gegeben. Was beim ersten Pfingstfest geschah, als die Apostel von Zuhörem verstanden wurden, die ganz andere Sprachen als sie sprachen, ist offenkundig eine Art Wunder gewesen. Ein Apostel sprach aramäisch, schien aber für die Ohren eines Zuhörers, der des Griechischen mächtig war, doch griechisch zu sprechen. Der Kirche ist gerade bei diesem Wunder nie recht wohl gewesen. - (pan)

Zungenreden (2) Kaum hatte er sich seinen Text zurechtgelegt, und war nach etwa fünf oder zehn Minuten in die Erläuterung des ersten Predigt-Teils, der »Wachet!« hieß, eingegangen, als er wie ein Gaukler, oder vielmehr wie ein Vogel, die sonderbarsten wippenden und schwingenden Bewegungen machte, und schleifende, gurgelnde »Gru-gru« und ähnliche Töne, die er mitten in die Sätze streute, ausstieß. Bald griff er mit dem rechten Arm weit hinaus, um gleich darauf mit dem Oberkörper nach rückwärts zu schnellen, und mit einer Wink-Bewegung die Zuhörer zu sich heraufzuholen. Brach mit dem Oberleib plötzlich über die Kanzel-Brüstung mit vorgestreckter Faust herab, als wollte er dem unter ihm Zunächst-sitzenden Eine auf den Kopf geben; um dann mit einem »Wau!« oder belfernden Ton, oder mit gebleckten Zähnen sich aus dieser Position wieder zurückzuziehen. Wie ein Bussard, oder ein gefangener Raub-Vogel in seinem Käfig wippend, immer hin und her, stundenlang dieselben Bewegungen macht, so schwebte, wand und torquirte sich unser Pastor immer herüber und hinüber, von rechts nach links, und von links nach rechts; oft aber unerwartet auf der einen äußersten Seite plötzlich Halt machend, um die dort sitzende Gruppe von Zuhörern mit einem Raketenschwarm von rasselnden, gepfefferten Phrasen zu überschütten. Und dazwischen schrie er immer »Wachet!« - »Wachet!« - Oft auch andere Interjektionen benutzend, wie »Phau!« - »He da!« - »Sieh!« - Links hatte er in der oberen Zahnreihe eine Lücke; dort pfiff er oft wie ein altes Weib heraus. Und auf seinem langgebauten hageren Gesicht lag während dieser ganzen Zeit der Ausdruck einer entsetzlichsten Angst. Auffallend lange oft richtete er sein •wie ein Geier gebautes Auge auf das Empor, wo die Orgel stand, als wolle er dort Jemand aufs Korn nehmen, oder erwarte er von dort das Eintreten eines Ereignisses. Und dann "wieder strich er mit beiden Händen, wie ein Mesmerist beruhigend, flach über die Versammlung hin, und stöhnte hauchend sein »Wachet!« - »Wachet!« - Johannes war eine lange, aufgeschossene, unsäglich magere Figur; und dies ließ die ruhelosen Exkursionen in dem schwarzen Chorrock noch auffallender, gespenstiger erscheinen. Die Stimme war belegt, chronisch matt, als hätte er sich in tausend früher gehaltenen Predigten ausgeschrieen. Er war aber sehr gut verständlich. Und der ausdrucksvolle, fast peinigende, flehende Ton that das Übrige. Ihm schien dies jedoch nicht genügend. Und jedesmal wenn eine neue Wendung kam, gab er förmlich ein Zeichen, ein »Ha!« als habe er's grad gefunden, oder einen Pfiff, der einem Umspringen der Stimme entsprach, oder er warf in Seitenstellung den ganzen Körper hinüber, als wollte er sagen: Da kommt her! - Oft schien ihm aber auch dies nicht zu genügen; er spitzte den Mund, und pfiff durch die hohle Faust -wie durch ein Blasrohr; ein förmliches »Täderädä« -wurde hörbar; oder er trampelte mit einemmale mit den Füßen auf dem dumpfen Kanzelboden herum, als wenn der Teufel los wäre.

- Und dann nach dem Allem, wenn er seinen Zweck erreicht zu haben schien, glich er die Aufregung wieder mit ausbreitenden Händen und mit einem anflehenden, fast brünstigen »Wachet!« - »Wachet!« - aus.

Und dies dauerte eine ganze geschlagene Stunde. - Die Predigt war groß, gewaltig, erschütternd, Herzen und Nieren prüfend; ein Thränen-Rinnsal und Sturmgewitter. - Aber die Leute waren einfach paff, entsetzt, geängstigt, gemartert; nicht wissend, wem sie folgen sollten, dem Gaukel-Spiel und Prestidigitateur-Künsten, oder dem zwingenden Gedankenstrom und niederbrechenden Pathos.

Kaum war das »Amen!« verklungen, so riß der Organist sämmtliche Register heraus, und mit einem mit Mixtur und Bässen reichlich durchsetzten »Tutti« überschwemmte er Herzen und Ohren, um Alles, Eindrücke, Ängstigungen und Erinnerungen in einem brausenden Orgel-Meer untergehen zu lassen. - Oskar Panizza, Pastor Johannes. In: Ders., Der Korsettenfritz. Geschichten. München 1981 (zuerst ca. 1905)

Zungenreden (3)

STREBET NACH DER LlEBE / VLEISSIGET EUCH DER geistlichen Gaben / Am meisten aber / das jr weissagen möget.

Denn der mit der Zungen redet / der redet nicht den Menschen / sondern Gotte / Denn jm höret niemand zu / Jm geist aber redet er die geheimnis. Wer aber weissaget / der redet den Menschen zur besserung / vnd zur ermanung / vnd zur tröstung. Wer mit der Zungen redet / der bessert sich selbs / Wer aber weissaget / der bessert die Gemeine. Jch wolt / das jr alle mit Zungen reden kündtet / Aber viel mehr / das jr weissagetet. Denn der da weissaget / ist grösser denn der mit Zungen redet / Es sey denn / das ers auch auslege / das die Gemeine dauon gebessert werde.

NV aber / lieben Brüder / wenn ich zu euch keme / vnd redet mit Zungen / was were ich euch nütze? so ich nicht mit euch redet / entweder durch Offenbarung / oder durch Erkentnis / oder durch Weissagung / oder durch Lere? 7Helt sichs doch auch also in den dingen / die da lauten / vnd doch nicht leben. Es sey eine Pfeiffe oder eine Harffe / wenn sie nicht vnterschiedliche stimme von sich geben / wie kan man wissen / was gepfiffen oder geharffet ist? 8Vnd so die Posaune einen vndeutlichen dohn gibt / Wer wil sich zum streit rüsten? Also auch jr / wenn jr mit Zungen redet / so jr nicht eine deutliche rede gebet / Wie kan man wissen / was geredt ist? Denn jr werdet in den wind reden.

ZWar es ist mancherley art der stimme in der Welt / vnd der selbigen ist doch keine vndeutlich.  So ich nu nicht weis der stimme deutunge / werde ich Vndeudsch sein dem / der da redet / vnd der da redet / wird mir Vndeudsch sein. Also auch jr / sintemal jr euch vleissiget der geistlichen Gaben trachtet darnach / das jr die Gemeine bessert / auff das jr alles reichlich habt. Darumb / welcher mit Zungen redet / der bete also / das ers auch auslege.

(Zungen redet) Mit zungen reden ist Psalmen oder Propheten in der Gemeine lesen oder singen / vnd sie nicht auslegen wie-wol sie der Leser verstehet. Weissagen ist den sinn von Gott nemen / vnd andern geben mögen. Auslegen / ist den sinn andern furgeben. Also meinet S. Paulus / mit zungen reden / bessert die Gemeine nicht / Weissagen aber vnd auslegen bessert die Gemeine. Jm Geist / heisset bey jm selber.

- Erster Brief an die Korinther, nach (lut)

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