Zugeschnittenwerden  Die Stadt ist ein riesenhafter Körper, ein Saurierkörper, plumper noch und ungelenker, als es je ein Tier gegeben hat. Er ist zusammengesetzt wie jeder andere Körper aus zahllosen kleinen Polypen, die gezerrte, verkrampfte Formen einnehmen müssen, um zu passen. Noch immer wird der Mensch als Kind geboren, als ein kleines, vielfaches Tier; aber eines Tages, an einem bestimmten Ort in diesem Körper, muß der Mensch eine bestimmte Wesenheit in diesem Organismus sein. Bis er paßt, wird er auf dem Prokrustesbett gereckt oder gekürzt. Viele Male muß er zugeschnitten werden, denn an vielen Orten, in denen er zunächst unterkam, ist er bald nicht mehr zu brauchen, und wieder muß er anders geschnitten werden.

Den Menschen gefällt das Zugeschnittenwerden nicht sehr. Sie lassen sich, solange sie elastisch sind und noch einen großen Teil ihrer künftigen Formungsfreiheit in Reserve halten, einiges gefallen, aber jede spätere Kürzung und Verrenkung wird ihnen immer schwerer. Sie schreien, wenn sie gezwungen werden in irgendeine neue Funktion, in die sie gepreßt werden, sobald irgendeiner an dieser Stelle ausgefallen ist. Oft weigern sie sich, noch weiter entstellt zu werden, und nicht wenige beenden ihr Leben selbst, weil sie sich in diese neuen Verkrüppelungen nicht fügen wollen. Aber es sind für jeden einzelnen immer weniger Plätze in diesem Riesenkörper zu finden. Nicht lange kann er glauben, daß er selbst eine Wahl hat. Wenn er sich nicht einfügen läßt, wird er verhungern. Der Körper der Stadt ist unbarmherzig.  - Ernst Fuhrmann, Leerlauf der Erziehung. Nach (fuhr)

 

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