Zug anhalten    Der Lokomotivführer stand wie immer vor seinen Hebeln. Knorrig, sehnig, mit kupferrotem Schnurrbart und verrußten Augen.

Er zeigte nach vorn und sagte: »Da liegt einer.«

Neselassow begriff nicht. Der Lokomotivführer wiederholte: »Ein Mensch liegt auf den Schienen!«

Obab beugte sich hinaus. Der Lokomotivführer hantierte rasch an irgendwelchen Hebeln. Obabs Haare flatterten im Wind.

»Ein Mann auf den Schienen, Herr Hauptmann!«

Neselassow ärgerte der gelassene Ton des Fähnrichs, und er sagte heftig: »Zug anhalten!«

»Kann ich nicht«, erwiderte der Lokomotivführer.

»Das ist ein Befehl!   Ich . . .«

»Es geht nicht«, wiederholte der Lokomotivführer. »Sie sind zu spät gekommen. Wir können erst hinterher anhalten.«

»Es geht doch um ein Menschenleben!   Nicht?«

»Laut Instruktion darf ich nicht halten. Sonst entgleisen wir.«

Obab wollte sich vor Lachen ausschütten. »Anhalten ist überhaupt sinnlos. Wir haben viel zuwenig Leute umgebracht. Wenn wir wegen jedem halten wollten, wären wir nie über Nowo-Nikola-jewsk hinausgekommen.«

Der Hauptmann knurrte gereizt: »Sparen Sie sich Ihre Belehrungen! Dann also dahinter anhalten! Bitte!«

»Jawoll, Herr Hauptmann«, erwiderte Obab.

Diese flegelhafte, prompte Antwort brachte den Hauptmann noch mehr in Rage, und er schnauzte: »Und Sie, Fähnrich Obab, sehen unverzüglich nach, und daß ich eine Meldung bekomme, was das für eine Leiche auf den Schienen ist.«

»Zu Befehl«, antwortete Obab.

Der Lokomotivführer gab noch mehr Dampf.

Die Wagen ruckten heftig an. Durchdringend heulte die Sirene.

Der Mann auf den Schienen rührte sich nicht. Auf den gelben Schwellen war sein Hemd als blauer Fleck zu erkennen.

Die Eisenbeläge der Plattformen schüttelte es hin und her.

»Das war's«, sagte der Lokomotivführer. »Jetzt halte ich an, und wir können nachsehen.«

Obab knöpfte den Hemdkragen auf, damit der Wind seinen verschwitzten Körper kühlte, und sprang von der Plattform auf die Erde. Der Lokomotivführer folgte ihm.

In den Wagentüren zeigten sich Soldaten. Nese-lassow setzte seine Mütze auf und ging gleichfalls zum Ausgang.

Doch in diesem Augenblick schleuderte der Wald eine krachende Gewehrsalve gegen den Panzerzug. Kurz danach folgte noch ein einzelner verirrter Schuß.

Fähnrich Obab streckte die Arme vor, als stelle er sich zu einem Hechtsprung ins Wasser bereit, und rollte dann langsam den Bahndamm hinunter.

Der Lokomotivführer stolperte und fiel schwer wie ein Sack neben die Zugräder. Sein Hals färbte sich rot von Blut, und sein kupferfarbener Schnurrbart schien mit einem Schlage weiß geworden. - Wsewolod Iwanow, Panzerzug 14-69. In: W. I., Die Rückkehr des Buddha. Nördlingen 1989 (Die Andere Bibliothek 49 , zuerst ca. 1922)

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