irkus  Am 4. Mai 1998 stoppte Officer Dale Claxton von der Polizei aus Cortez, Colorado, einen gestohlenen Wassertankwagen. Die drei Männer in der Fahrerkabine eröffneten mit ihren automatischen Waffen sofort das Feuer. Claxton war auf der Stelle tot. Bei der Jagd nach den Tätern wurden drei weitere Polizeibeamte verletzt, Einer der Flüchtigen beging kurz darauf Selbstmord, den beiden anderen gelang es, in der menschenleeren Weite der Berge, Mesas und Canyons im Grenzgebiet zwischen Utah und Arizona unterzutauchen. Zu diesem Zeitpunkt übernahm das Federal Bureau of Investigation die Ermittlungen, und schon bald waren mehr als fünfhundert Beamte von mindestens zwanzig verschiedenen Strafverfolgungsbehörden des Bundes, der Einzelstaaten sowie der Stämme an der Suche beteiligt, außerdem jede Menge zwielichtiger Gestalten, die durch die vom FBI ausgesetzte Belohnung in Höhe von 250 000 Dollar angelockt worden waren.

Leonard Butler, der kluge und besonnene Chef der Navajo Tribal Police, bezeichnete die Fahndung damals wörtlich als «Zirkus». So ließ man Meldungen, nach denen die Täter irgendwo gesehen worden sein sollten, unbearbeitet in der Zentrale liegen, statt sie an die Einsatzkräfte vor Ort weiterzuleiten. Suchmannschaften folgten irrtümlich den Fährten anderer Suchmannschaften, weil die Funkfrequenzen zwischen ihnen nicht abgestimmt waren. Lokale Polizei, die mit der Gegend vertraut war, schickte man an die Straßensperren, während Kollegen, die man zur Verstärkung aus den Städten herbeigeholt hatte, orientierungslos in den Canyons herumstolperten. Die Kleinstadt Bluff wurde evakuiert und im Tal des San Juan ein Buschfeuer entzündet, um die Verbrecher zur Aufgabe zu zwingen. Monat für Monat verstrich, ohne dass man einen Schritt weitergekommen wäre. Dann, im Juli, hieß es plötzlich, das FBI gehe davon aus, dass die Täter nicht mehr am Leben seien. Gut möglich, vermutlich sind sie irgendwann vor Lachen tot umgefallen. - Tony Hillerman, Dachsjagd. Reinbek bei Hamburg 2001 (zuerst 1999)

Zirkus (2) Welcher Zirkus ist nicht der schönste der Welt - die Welt und ihre Schönheiten in ihrer ganzen Schönheit dargeboten?

Der Zirkus, auf dessen Plakat das Unglück, falls es existiert, nicht aufgeführt wird, bietet eine grandiose Vision der Welt: den Triumph des Menschen über die Tiere und über den eigenen Körper, der sich über Schranken wie zum Beispiel die Schwerkraft stolz hinwegsetzt, während seine Intelligenz, die ihn zum König der Schöpfung macht, der Kausalität einen Streich spielt, wie die Taschenspielertricks des Zauberkünstlers beweisen.

Tiere, denen man Kunststücke beibringt (Affen, Hunde, Seehunde), andere, die man dressiert (Elefanten, die in der Reihe hintereinander hergehen, wobei der Rüssel des einen hübsch den Schwanz des anderen festhält, und die mit Leichtigkeit ihre Massen bewegen, die aussehen, als seien sie frisch der Erdkruste entnommen; feurige Pferde, die aber auf den geringsten Wink und jeden Blick parieren, in vollem Putz und mit geflochtener Mähne, und deren Maul fast ihre Brust berührt, so straff sind sie gezäumt), andere schließlich, die man hinter rasch aufgestellten Gittern durch Zuckerbrot oder Peitsche bändigt (Löwen, Tiger und weniger imposante Raubkatzen, die aber ebenso gefährlich waren und nun, falls nicht ein Unfall passiert, völlig harmlos geworden sind).

Alle Wunder der Welt - soweit man sie einfangen kann - beschlossen in einem kreisförmigen Raum beschränkten Umfangs. Harmonie, Eintracht, ein Konzert der Nationen, die vereint sind, als wollten sie ihr buntes Farbengemisch hervorkehren oder sich gegenseitig feiern. Die menschliche Komödie gutmütig illustriert vom Dummen August, den der kluge Clown im schimmernden Gewand der Lächerlichkeit preisgibt. Die Hoffnungen, die man auf die Evolution setzen kann, werden bestätigt durch das Gehen auf den Händen oder durch das Rad, die die aufrechte Haltung ablösen, die vor langen Jahrtausenden an die Stelle der Fortbewegung auf allen Vieren getreten war. Der steile Aufstieg, der so mitreißend war in den Zirkuszelten von anno dazumal: die Beschließerin, die man plötzlich als Seiltänzerin, oder die Kassiererin, die man als Schlangenbeschwörerin wiedersah.

Auf dem Sägemehl oder dem Borstenteppich gibt die hohe Kunst selber sich ein Stelldichein: in Posen ähnlich denen der Bronzemänner (einer Jahrmarktsrasse mit metallischer Haut, die heute, glaube ich, ausgestorben ist) singen Kreaturen aus Marmor einen Hymnus auf die Pracht des eigentümlichen Körperbaus unserer Spezies.

Als Freizeitspaß für alle (alt und jung) ist der Zirkus - sei er arm oder reich - auch eine gute Lektion, denn die bescheidene oder prunkvolle Palette seiner Attraktionen läßt auch denjenigen, der niemals an ein Paradies auf Erden glauben wird, erleben, wie schön es sein kann, auf der Welt zu sein. - (leiris2)

Zirkus (3) Igor Zaroff, der löwenbändiger, hatte Wanda, der dame mit dem künstlichen unterleib, eine ohrfeige runtergehauen, eifersucht das motiv, jene leidenschaft, die schon seit unerdenklichen zeiten die manegen und wohnwagen der cirkusse verheert. Jacob Pfeiffer, der allgewaltige boß, der gefürchtete frère Jacques, wie er im geheimen genannt wurde (laut diesen namen auszusprechen hätte keiner der akrobaten und tausendsassas gewagt), hatte, als er das durchdringende geschrei hörte, seinen makellosen zylinder zu kopfe gebracht und war, bedeckt von diesem zeichen einer unumschränkten macht, aus seiner luxusroulotte herausgeeilt, um nach dem rechten zu sehen. Es war gegen abend, die tausend glühlampen des gewaltigen zeltdomes verbreiteten bereits ihr gleißendes, feenhaftes licht, als der scharfe, staubtrockene knall eines pistolenschusses ertönte.

»Was geht hier vor?« herrschte der direktor den eben vorbeikrabbelnden musikalzwerg an. Arno, der liliputaner, erschrak wie ein kaninchen im schlangenkäfig, dieses zischen schien für ihn aus den wolken zu kommen, und eine art furchterregende gottheit war der direktor in der tat für ihn.

»Der Igor hat der Wanda eine gewischt!« antwortete kläglich und mit piepsender stimme der zwerg und schlug drei purzelbäume in der kargen hoffnung, den chef wieder in bessere laune zu versetzen.

»Laß diese faxen, Arno, sonst gibts frühstücksentzug«, schnarrte Jacob Pfeiffer, »warum gab er ihr eine ohrfeige - und was soll diese knallerei bedeuten?«

»Welche knallerei?« miaute der zwerg, nun vollends aus der fassung, denn frühmorgens hatte er die verfressensten stunden seines langen pygmäentages.

Der direktor setzte zu seinem satz an, sprach diesen aber nicht mehr aus, brachte nicht den bescheidensten ton eines anfangs über die lippen, denn nun krachte ein zweiter schuß, kurz, hart, eher noch trockener als der vorige und so gefahrlich nah, daß der direktor seinen hohen Zylinder abnahm, um kein ziel zu bieten, und Arno hinter den reithosen seines herrn in deckung ging.

»Sapristi«, entfuhr es direktor Pfeiffer, »sollte Bill Markings, mein kunstschütze, wieder einmal durchgedreht haben? Sollte er mein striktes verbot mißachtet und der flasche erneut zugesprochen haben?«

Er starrte plötzlich auf seinen glänzenden zylinder, der im flutlicht eines kreisenden scheinwerfers für einige augenblicke dessen gleißende fülle reflektierte — ein tückisches dunkles einschußloch starrte ihm wie die zahnlücke des todes entgegen. - Hans Carl Artmann, nach (narr) [eigentl. nach (dru)]

Zirkus (4) Ich kenne das buenos-airenser publikum: sollte eines jener sanftäugigen, klugen tiere mit einem holzbein in die manege kommen, so wird sich gewiß kein mensch unterhalten. Der pferdecirkus darf kein horrorkabinett sein. Der cirkus ist eine welt des schönen, gesunden, eine welt der kraft, der jugend und der freude. Der cirkus bedeutet inmitten des tragischen rationalismus unsres lebens eine pittoreske oase des irrationalen; er ist ein asexueller punkt in der übersteigerten erotik der metropolen; durch die kunst des jongleurs wird er zum sieg über die gesetze des gleichgewichtes und der schwerkraft; durch die phantasie des clowns wird er zum triumph des absurden über den materialismus unsres täglichen daseinskampfes ..-  PITIGRILLI: LA MOGLIE DI PUTTIFARE, nach (dru)

Zirkus (5)   Von klein auf habe ich mich für den Zirkus begeistert, weil hier einmal der Zirkus ›Arabela‹ und der Zirkus ›Stringin‹ durchgekommen sind: da gab es Jongleusen mit herrlichen Schenkeln, Jaguare und Filme und Theaterstücke. Im Zirkus habe ich den Film ›Das Fleisch‹ gesehen, mit der außerordentlichen Schauspielerin Isa Lins. Dort habe ich auch Grácia Morena kennengelernt, die Frau mit dem aufreizenden Sex-Gesicht, die mit einem gewaltigen Dekolleté auftrat. Ich habe auch den Film ›Der Guarani‹ gesehen, den ich später wie ›Das Fleisch‹ in Romanform lesen sollte. Ich sah auch ›Bruderblut‹ von Jota Soares, einen Abenteuerfilm über Sertão-Bräuche. Ich sah ›Rückschläge‹ von Chagas Ribeiro, und der Film begeisterte mich, weil es darin Pferde und Viehtreiber zu sehen gab wie in den Ritter- und Banner-Romanen aus dem Sertão. Am Zirkus >Arabela‹ begeisterte mich noch mehr als die Reiter, die auf ihren Pferden Kapriolen schlugen, Arabela selbst, eine wunderschöne Frau mit nackten Schenkeln; sie tanzte in ihren kurzen Höschen auf dem Seil oder führte Balance-Kunststücke auf einem Pferd vor. In einer Nummer streckte sie sich auf einem Jaguar aus, und später legte sich dann der Jaguar auf sie. Im Zirkus habe ich auch ein wunderbares Theaterstück miterlebt, ein Stück mit dem Titel ›Der Schrecken der Sierra Morena‹, dessen Thema aus einem Flugblatt stammte. Und ich habe die Clowns gesehen, Klug und Dumm, mit bauschigen Gewändern und weißer Halskrause. Vor allem aber haben Ar6sio und ich im Zirkus zum ersten Mal eine Frau besessen — eines Abends nach der Vorstellung. Aresio überredete mit seinem Prestige als reicher starker Bursche zwei Seiltänzerinnen - die schönere nahm er für sich, die weniger schöne überließ er mir -, derart, daß wir in Umkleideräumen, die nur durch Vorhänge voneinander abgetrennt waren, bei gedämpftem Licht in die Liebe eingeweiht wurden. Als Erwachsener wurde ich dann der Anführer von Kavalkaden, von Kriegerspielen, vom Karnevalszug ›Bumba-meu-bok, von der ›Galione Catrineta< usw. Das alles gibt es nur in unserem Städtchen. Deshalb träumte ich davon, Zirkusbesitzer zu werden.  - (stein)

Zirkus (6)  Im Zirkus ging es einem wirklich gut: Flittergefunkel und wilde Musik, ein rechnender Kater, der auf bestimmte, vorher heimlich mit Baldrian präparierte Pappzahlen reagierte, während gerührte Damen ihrer Nachkommenschaft dieses so beredte Beispiel Darwinscher Evolution zeigten. Am ersten Abend, als Oliveira an die noch leere Arena trat und hochsah zu der Öffnung zuoberst im roten Zelt, dieser Fluchtöffnung auf einen möglichen Kontakt, diesem Zentrum, diesem Auge, das wie eine Brücke war vom Boden hin zum befreiten Raum, hörte er auf zu lachen und dachte, daß ein anderer als er vielleicht mit der größten Selbstverständlichkeit am nächsten Mast zu dem Auge da oben hinaufgeklettert wäre und daß dieser andere nicht er war, der da rauchte und das Loch in der Höhe betrachtete, dieser andere war nicht er, der unten stehen blieb und im Lärm des Zirkus rauchte. - (ray)
 
Unterhaltung
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