Zéro    Die Tante stürzte sich ohne weiteres wieder auf zéro und befahl mir sogleich, jedesmal zwölf Friedrichsdor darauf zu setzen. Wir setzten einmal, ein zweites Mal, ein drittes Mal - zéro kam nicht.

»Setze nur, setze!« sagte die Tante und stieß mich ungeduldig an. Ich gehorchte.

»Wievielmal haben wir schon gesetzt?« fragte sie endlich, mit den Zähnen vor Ungeduld knirschend.

»Ich habe schon zwölfmal gesetzt, Großmütterchen. Hundertvierundvierzig Friedrichsdor haben wir verloren. Ich sage Ihnen, Großmütterchen, es dauert vielleicht bis zum Abend ...«

»Schweig!« unterbrach mich die Tante. »Setze auf zéro, und setze gleich auch auf Rot tausend Gulden! Hier ist eine Banknote.«

Rot kam, aber zéro wieder nicht. Wir erhielten tausend Gulden ausgezahlt.

»Siehst du, siehst du?« flüsterte die Tante. »Wir haben beinahe alles, was wir verloren hatten, wieder eingebracht. Setze wieder auf zéro; noch ein dutzend-mal wollen wir darauf setzen, dann wollen wir es aufgeben.«

Aber beim fünften Mal hatten sie es bereits ganz und gar satt bekommen.

»Hol dieses nichtswürdige zéro der Teufel; ich will nichts mehr davon wissen. Da, setze diese ganzen viertausend Gulden auf Rot!« befahl sie.

»Aber Großmütterchen, das ist doch eine gar zu große Summe; wenn nun Rot nicht kommt?« sagte ich im Ton dringender Bitte; aber die Tante hätte mich beinahe durchgeprügelt. (Beiläufig: sie versetzte mir immer solche Stöße, daß man sie fast schon als Schläge bewerten konnte.) Es war nichts zu machen; ich setzte die ganzen viertausend Gulden auf Rot. Das Rad drehte sich. Die Tante saß gerade aufgerichtet mit ruhiger, stolzer Miene da, ohne im geringsten an dem bevorstehenden Gewinn zu zweifeln.

»Zéro!« rief der Croupier.

Zuerst begriff sie nicht, was es damit auf sich hatte; aber als sie sah, daß der Croupier, zusammen mit allem, was sonst noch auf dem Tisch lag, auch ihre viertausend Gulden zu sich heranharkte, und als sie zu der Erkenntnis gelangte, daß dieses zéro, das solange nicht gekommen war, und auf das wir über zweihundert Friedrichsdor verloren hatten, wie mit Absicht nun gerade in dem Augenblick erschienen war, wo sie eben darauf geschimpft und es nicht mehr besetzt hatte, da stöhnte sie laut auf und schlug die Hände zusammen, so daß man es durch den ganzen Saal hörte. Die Leute um sie herum lachten.   - Dostojewski, Der Spieler. Köln 2012 (zuerst 1867)

Roulette Null

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