ellenbewohner »Ich bin teils Chinese, teils Hawaiianer, teils Filipino und teils Nigger. Sie würden sich nicht wohl fühlen in meiner Haut.«
»Nur noch eine Frage. Wie, zum Henker, kommen Sie klar damit? - Mit den Joints, mein ich.«
Er sah sich um. »Ich rauche nur, wenn's mir ganz besonders dreckig geht. Aber verdammt noch mal, was geht Sie das an? Was geht das überhaupt irgendwen an? Vielleicht werd ich erwischt, und dann bin ich den Traumjob hier los. Vielleicht werd ich in eine Zelle gestoßen. Vielleicht bin ich mein ganzes Leben schon in einer Zelle gewesen, schleppe sie mit mir rum. Zufrieden?« Er redete zuviel. Wie alle labilen Menschen. Einmal sind sie einsilbig, und im nächsten Moment sprudeln sie über. Die gedrückte, müde Monotonie seiner Sprechweise ging weiter.
»Ich bin niemand böse. Ich lebe. Ich esse. Manchmal schlafe ich. Besuchen
Sie mich doch mal bei Gelegenheit. Ich wohne in einem Flohsack in einer alten
Baracke in der Polton's Lane, die in Wirklichkeit ein schmaler Durchgang ist.
Direkt hinter der Stahlwarengesellschaft von Esmeralda. Das Klo ist in einem
Schuppen. Waschen tu ich mich in der Küche über einem Zinnausguß. Schlafen tu
ich auf einer Couch mit kaputten Sprungfedern. Jedes Stück da ist zwanzig Jahre
alt. Diese Stadt ist was für Reiche. Kommen Sie mich doch mal besuchen. Ich
wohne auf dem Grundstück eines Reichen.« - Raymond Chandler, Playback.
Zürich 1976
Zellenbewohner (2) Nichts
konnte mehr meine Ruhe und mein Gleichgewicht stören. Die Jahre vergingen. Ich
war so weit, daß ich an nichts mehr dachte. Ich war unbeweglich. Man brachte
mir zu essen, zu trinken. Man führte mich in den Hof. Man brachte mich wieder
in meine Zelle. Ich war abwesend. Ich war starr und spürte nur in den Fingerspitzen,
im Knie, am Ende der Wirbelsäule oder im Kopf noch einen Rest von Empfindung.
Ich genoß das Leben, aber ich dachte nicht. Meine Finger waren weit weg bei
den Saxifragen im Steinbruch. Mein Knie strahlte Licht aus, brach die Strahlen,
ließ Sonnenspäne aufwirbeln wie eine Gemme. In meiner Wirbelsäule arbeitete
es wie in einem Baum im Frühling, der ein Blättchen und an der Spitze eine Knospe,
einen Palmenkohl, treibt. Mein Kopf hatte, wie ein Seestern, nur eine einzige
Öffnung, die als Mund und Anus zugleich diente. Wie ein Zoophyt, den man anrührt,
zog ich das Leben in meine Tiefen zurück. Ich verdaute mich selbst, in meinem
eigenen Magen. - (
mora
)
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