Zeitsprung  Jetzt gehen die Lichter aus, wir sehen uns noch mit diesem leichten Abschiedszittern an, das uns immer überkommt, wenn ein Konzert beginnt (wir werden einen Fluß überqueren, die Zeit wird eine andere sein, der Obolus liegt bereit), und schon hebt der Kontrabassist sein Instrument und forscht es aus, kurz durchläuft die Bürste der Kesselpauke die Luft wie ein Schauder, und von hinten, eine ganz unnötige Runde beschreibend, macht sich ein Bär mit einer Mütze, halb Fez, halb Scheitelkäppchen, auf den Weg zum Flügel, wobei er einen Fuß vor den anderen setzt, mit einer Vorsicht, daß man an verlassene Bergwerke oder an diese Blumenkulturen der sassanidischen Despoten denken muß, wo jede niedergetretene Blume den langsamen Tod des Gärtners bedeutete. Als Thelonious sich an den Flügel setzt, setzt sich der ganze Saal mit ihm und gibt ein allgemeines Gemurmel von sich, das der großen Erleichterung entspricht, denn die von Thelonious auf der Bühne zurückgelegte Strecke hat etwas von einer gefährlichen phönizischen Küstenfahrt mit fast unvermeidbaren Strandungen auf Sandbänken, und als das Schiff von dunklem Honig und bärtigem Kapitän in den Hafen einläuft, empfängt es die Freimaurermole der Victoria Hall mit einem Seufzer wie von besänftigten Schwingen, von befriedigten Wellenbrechern. Dann ist es Pannonica oder Blue Monk, drei Schatten wie Ähren umgeben den Bär, der die Bienenkörbe der Tasten untersucht, wobei die gutmütigen, plumpen Tatzen zwischen aufgestörten Bienen und Klangwaben herumtappen, es ist kaum eine Minute vergangen, und schon sind wir in der Nacht außerhalb der Zeit, in der ursprünglichen, köstlichen Nacht von Thelonious Monk.

Aber das kann man nicht erklären: A rose is a rose is a rose. Man befindet sich in einem Intervall der Ruhe, es gibt einen Fürsprecher, in irgendeiner Sphäre erlösen sie uns vielleicht. Und dann, als Charles Rouse einen Schritt auf das Mikrofon zu geht und sein Saxo imperatorisch die Gründe schildert, weshalb es da ist, läßt Thelonious die Hände sinken, hört einen Augenblick zu, schlägt mit der Linken noch einen leichten Akkord an, und der Bär erhebt sich wiegend, satt von Honig oder auf der Suche nach einem moosigen Plätzchen für seine große Schläfrigkeit, den Schemel verlassend, stützt er sich auf den Rand des Flügels, mit einem Fuß und der Mütze den Takt schlagend, während die Finger über das Instrument gleiten, zuerst am Rand der Tasten entlang, wo ein Aschenbecher und ein Bier stehen könnte, doch wo es nichts weiter gibt als Steinway & Sons, und dann beginnen sie unmerklich auf der Kante des Klavierkastens eine Fingersafari, während der Bär rhythmisch sich wiegt, denn Rouse und der Kontrabassist und der Schlagzeuger sind im Mysterium ihrer Trinität verstrickt, und Thelonious ist auf einer schwindelerregenden Reise, ohne sich zu bewegen, Zentimeter um Zentimeter in Richtung auf den Resonanzkasten des Flügels, wo er nicht ankommen wird, man weiß, daß er nicht ankommen wird, denn um dort anzukommen, würde er mehr Zeit brauchen als Phileas Fogg, mehr Segelschlitten, tannenhonigfarbige Schnellzüge, durch die Geschwindigkeit abgehärtete Elefanten und Eisenbahnen, um den Abgrund einer schwankenden Brücke zu überwinden, weshalb Thelonious auf seine Weise reist, indem er sich erst auf den einen, dann auf den anderen Fuß stützt, ohne seinen Platz zu verlassen, auf der Brücke seiner in einem Theater gestrandeten Pequod mit dem Kopf nickt und immer wieder die Finger bewegt, um einen Zentimeter oder tausend Meilen zurückzulegen, sich erneut ruhig verhält und gleichsam vorsichtig, die Höhe mit einem Sextanten aus Rauch nimmt und darauf verzichtet, weiterzugehen und ans äußere Ende des Flügelkastens zu gelangen, ja die Hand verläßt die Kante sogar, der Bär dreht sich langsam und alles könnte passieren in diesem Augenblick, da ihm die Stütze fehlt, da er wie ein Eisvogel über dem Rhythmus schwebt, während Charles Rouse die letzten vehementen, langen, wunderbaren Pinselstriche aus Violett und Rot hinwirft, wir fühlen die Leere von Thelonious, der sich vom Rand des Flügels entfernt hat, die endlose Diastole eines einzigen riesigen Herzens, in dem unser aller Blut pulst, und eben da tastet seine andere Hand nach dem Flügel, der Bär schwankt wohlig und kehrt Wolke um Wolke zu den Tasten zurück, betrachtet sie wie zum ersten Mal, läßt die unentschlossenen Finger durch die Luft spazieren, läßt sie fallen, und wir sind gerettet, da ist Thelonious als Kapitän, es gibt für eine Weile einen festen Kurs, und Rouses Gebärde beim Zurückweichen, während er das Saxo vom Ständer nimmt, hat etwas von Machtübergabe, vom päpstlichen Legaten, der dem Dogen die Schlüssel der Serenissima zurückgibt. - (cort)

Zeitsprung (2)

- Topor

Zeitsprung (3)  »Sie vier werden sicher schon auf die Zusammenarbeit mit G.G. Ashwoods neuester Entdeckung gespannt sein, die Präkogs auf eine ganz neue Art und Weise unschädlich machen kann. Vielleicht will MISS Conley es uns selbst erklären?« Er nickte Pat zu ...

... und stand plötzlich vor einem Schaufenster auf der Fifth Avenue. Es war ein Laden für seltene Münzen. Er beäugte einen Golddollar, der nie m Umlauf gebracht worden war, und überlegte, ob er ihn sich für seine Sammlung leisten könnte.
Was für eine Sammlung?, fragte er sich dann. Ich sammle ja gar keine Münzen. Was treibe ich hier überhaupt? Und wie lange sehe ich mir hier schon Schaufenster an, wo ich doch eigentlich m meinem Büro sitzen sollte und ... Er konnte sich nicht mehr erinnern, was er dort für gewöhnlich tat. Trgendetwas, was mit Leuten zu tun hatte, die eine spezielle Begabung hatten, ein besonderes Talent. Er schloss die Augen, konzentrierte sich. Nein, ich musste diesen Job aufgeben, fiel ihm ein. Nach einem Herzinfarkt im letzten Jahr habe ich mich zurückgezogen. Aber ich war doch gerade noch dort. Vor ein paar Sekunden. In meinem Büro. Ich habe mit einer Gruppe von Leuten über ein neues Projekt gesprochen. Alles weg, dachte er benommen. Alles, was ich aufgebaut habe.
Als er die Augen öffnete, befand er sich wieder in seinem Büro - G.G. Ashwood, Joe Chip und einem dunklen, ungewöhnlich attraktiven Mädchen gegenüber, an dessen Namen er sich nicht erinnern konnte. Sonst war niemand im Zimmer, was ihm aus unerfindlichen Gründen merkwürdig vorkam.

»Mr. Runciter«, sagte Chip, »darf ich Ihnen Patricia Conley vorstellen.«

»Es freut mich sehr, Sie endlich kennen zu lernen, Mr. Runciter.« Das Mädchen lachte und ihre Augen blitzten triumphierend. Runciter fragte sich, weshalb.

Joe Chip wusste in diesem Moment, dass sie irgend-etwas angestellt hatte. »Pat«, sagte er, »ich kann es nicht genau erklären, aber es hat sich etwas verändert.« Er sah sich in dem Büro um; es schien wie immer - der Teppich in zu lauten Farben, zu viele Kunstobjekte, die nicht zueinander passten, Originalgemälde ohne jeglichen künstlerischen Wert. Auch Glen Runciter war derselbe - struppig und grau, mit nachdenklichen Falten im Gesicht, erwiderte er verwirrt Chips Blick. Drüben am Fenster stand G. G. Ashwood, wie üblich in eleganten birkenrinden-farbenen Hosen mit Hanfseilgürtel, einer durchsichtigen Strickjacke und mit einer Eisenbahnermütze auf dem Kopf; er zuckte gleichgültig die Schultern, ihm war offenbar nichts Ungewöhnliches aufgefallen.

»Nichts hat sich verändert«, sagte Pat.

»Nein, alles hat sich verändert«, erwiderte Chip. »Du bist in der Zeit zurückgegangen und hast uns auf ein anderes Gleis geschoben.« -  (ubik)

 

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