eitreise  Durch Jahrtausende glitt Jörg durch viele Zellkörperchen zurück oder vor? weil er plötzlich  vergaß, was Zeit sei, und kroch in Nagasaki aus Blau des Himmels. Nicht Jörg rief man ihn, sondern Hoku. Schwitzte als Kuli, trug vornehme Herren, Beamte, Schogune. Einmal tropfte Prügel auf sein Gesäß, er Hände schützend darüber haltend lief durch Reisfelder, lang, bis knapp der Futschijama in sein beträntes Gesicht leuchtete. Eine Stimme sang: weißt Du denn nicht, daß Du einmal vor Jahrtausenden, oder wird es erst sein? als blasser Mann von einem Haus fielst, daß Dir der Schädel zerbrach und alle Atome schüttrer Hirnsubstanz durch den Kosmos fegten? — Da besann sich Hoku, klagte nicht mehr, rief aber durch den Schnee der Kirschblüten fremden Laut: Jörg.

Er war Maurer, hatte weißes Gesicht, dunklen Bart, fiel vom Dach, brach sich Genick, stand auf und ritt auf einem Silbergaul weiter als Student. Im Butzenscheibenhaus er verschwand, sah im Vestibül eine große Fliege, schrie: Fliege! schlagt sie tot! stürzte darnach, es schien ihm als stünde er am Platz Notre Dame zu Paris, viele Leute fielen, verfolgten die Fliege, fühlte er, die Fliege, Jörg selbst, die Streiche, fiel hin, trat gleich drauf aus dem schlanken Gebäude, leichten Druck wie von Büchern unterm Arm, der Schofför verneigte sich tief, Auto nahm ihn auf. Erstaunt. Sonst fuhr darin ja die berühmte Tragödin Mia Miu. Warm wars innen. Kleiner Tisch pries solide Speisen aus. Vollständig auf der Höhe der Zeit, wirklich erstklassiges Auto, dräut der Winter noch so sehr. Da unkultiviertes Geschrei: wüster Balkankopf schaute herein durch geschliffnen Glasesglast, aufriß Tür, Bombe schwingend er sich plötzlich slawisch devot entschuldigte: O verzeihen Sie, ich dachte, Sie sind der Thronfolger von Österreich-Ungarn, der durchlauchtigste Herr Erzherzog Esterhazy Bankerott!

 Das halt ich nicht aus! warf Jörg seine Arme, griff aber nur den Busen des Eskimoweibs, erwachte aus höhnischen Traumgesichten, fand sich da als Jörg. Er hatte seltsamerweis Füße oben auf der Fellstatt, Kopf hing ihm unten. Da stand er auf, schüttelte seine Mähne, rief: Frisör! Als niemand erschien, befahl er den Schlitten zu richten, schrieb schnell noch ein Buch über das Vorkommen der Beistriche und Punkte bei den Romantikern, besonders zum Gebrauch für Eskimos dargelegt, erläutert, mit Anmerkungen und Fußnoten reichlich versehen, klopfte einer jeden von den abschiednehmenden Urweibern eins leutselig auf die Scham, und fuhr. In Hammerfest mietete er Boot, ruderte, schlug Winde und Wasser, schrillte einmal als er fern portugiessche Küste nach Wochen sah, schoß schon unterm Äquator, stieg in Afrika ans Land, bölkte: Da da bin ich. - Melchior Vischer, Sekunde durch Hirn. Ein unheimlich schnell rotierender Roman. Zuerst 1920

Zeitreise (2)  Alle hatten sie Lust zu spielen, waren fröhlich, gingen gut gekleidet (vielleicht erinnere ich mich nur deswegen daran, weil Johnny heute so schlampig und schmuddelig herumläuft), sie spielten mit Hingabe, ohne je ungeduldig zu werden, und der Tontechniker hinter der Scheibe gab ihnen wie ein satter Pavian mit Gesten zu verstehen, wie zufrieden er war. Und genau in dem Augenblick, als Johnny wie freudeverloren spielte, brach er plötzlich ab, gab, ich weiß nicht wem, einen Rippenstoß und sagte: »Das bin ich morgen am Spielen«, und die Jungs blickten betreten drein, nur zwei oder drei spielten noch einige Takte, wie ein Zug, der langsam bremst, und Johnny schlug sich gegen die Stirn und wiederholte: »Das hab ich schon morgen gespielt, es ist irre, Miles, das hab ich schon morgen gespielt«, und niemand konnte ihn davon abbringen, und von da an ging alles schief, Johnny spielte lustlos und wollte gehen (um sich wieder zu dopen, sagte der Tontechniker, der vor Wut kochte).   - Julio  Cortázar, Der Verfolger. In: J.C., Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am Main 1998

Zeitreise (3)   Die Uhr — die Uhr läuft unerbittlich rückwärts. 1000 Jahre, 10 000 Jahre, 100 000 Jahre. Wir sind unterwegs. Was haben wir gefunden? Ein Riesenpinguin kichert hämisch hinter uns her und schlägt mit den Flügeln. Mein Zeigefinger ist wie ein in den Federn stochernder Schnabel, der in meiner müden Haut nach Flöhen sucht. Der Himmel ist eine ölige, schwabbelige, gelbgestreifte Masse, geronnener Karneol, tiefgefrorenes Öl in einer grünen Flasche. Wir sind auf dem Grund.

Alles zappelt und schwänzelt und öffnet und schliesst sich. Kiemengewirr. Winzige Münder. Runde, blasige Dinger verschwinden, kommen und gehen, entlarven sich, zer-fliessen in einem Funkenregen. Die goldenen Kugeln steigen, sinken, skizzieren Umrisse. Meditation? Spiel? Arabesken, Gestalten zeichnen sich deutlich ab. Ein Tross buntscheckiger Pferde galoppiert in Windeseile davon. Präriehunde bellen. Ein Schimpanse schaukelt einarmig an einem Ast. Die Palme neigt sich. Schmetterlingsschwärme. Vogeltrauben. Ein kleiner Dackel. Eine Raupe. Ein Maulwurf, augengefleckt wie ein Pfau.

Clowngelächter. Das Stickwerk zerreisst. Die Smaragdkutsche kippt. Alles zerschellt. Alles zerbricht. Durchsichtige Krater öffnen sich und legen glänzende Kochtöpfe aus wunderbarstem Kupfer frei. Ein Indianer und ein blauer Neger tanzen um den Herd und jonglieren mit grossen, roten Zwiebeln. Ein Straussenei rollt einen Abhang hinunter.   - Blaise Cendrars, Im Hinterland des Himmels. Zu den Antipoden der Einheit.  Basel 1987 (entst. 1917)

Zeitreise (4)  Die Stromstrecken öffneten sich vor uns und schlössen sich wieder hinter uns, als hätte sich der Wald lässig über das Wasser geschoben, um uns den Rückweg abzuschneiden. Wir drangen tiefer und tiefer in das Herz der Finsternis vor. Es war sehr still dort. Nachts liefen zuweilen Trommelwirbel hinter dem Bambusvorhang den Fluß hinauf und wurden, gleichsam als schwebten sie in der Luft hoch über unseren Häuptern, leise bis zum ersten Morgengrauen angehalten. Ob sie Krieg, Frieden oder Gebet bedeuteten, vermochten wir nicht zu sagen. Die Morgendämmerung wurde vom Herabsinken einer eisigen Stille angekündigt; die Holzfäller schliefen, ihre Feuer waren heruntergebrannt; das Knacken eines Zweiges ließ einen auffahren. Wir waren Wanderer auf vorgeschichtlicher Erde, auf einer Erde, die das Gesicht eines unbekannten Planeten trug. Wir hätten uns einbilden können, die ersten Menschen zu sein - Wesen, die eine fluchwürdige Erbschaft antreten, welche nur um den Preis ärgster Qualen und schwerster Mühe zu bewältigen ist. Aber plötzlich, wenn wir uns um eine Biegung mühten, konnte es sein, daß sich uns ein flüchtiger Blick auf Schilfwände, auf spitze Grasdächer öffnete, auf wildes Gezeter, ein Gequirl von schwarzen Gliedmaßen, eine Masse klatschender Hände, stampfender Füße, schwankender Leiber, rollender Augen hinter dem Vorhang schweren und reglosen Laubes. Der Dampfer arbeitete sich weiter am Rand der schwarzen und unverständlichen Raserei hin. Der vorgeschichtliche Mensch verfluchte uns, betete uns an, begrüßte uns - wer vermochte es zu sagen? Wir waren vom Verständnis unserer Umgebung abgeschnitten; wir glitten vorüber wie Phantome, verwundert und insgeheim erschrocken, wie es vernünftige Menschen angesichts eines Begeisterungsausbruches in einem Tollhaus wären. Wir konnten nichts verstehen, weil wir zu weit voraus waren, und wir vermochten uns an nichts zu entsinnen, weil wir in der Nacht frühester Zeitalter reisten, jener Zeitalter, die dahingegangen sind - kaum eine Spur hinterlassend und keinerlei Erinnerung.

Die Erde schien unirdisch. Wir sind es gewohnt, auf die gefesselte Gestalt eines besiegten Ungeheuers zu blicken; doch hier — hier blickte man auf ein Ding, das ungeheuer und in Freiheit war. Es war unirdisch, und die Menschen waren... Nein, sie waren nicht unmenschlich. Wißt ihr, das war das schlimmste — dieser Verdacht, sie seien unmenschlich. Er drängte sich einem langsam auf. Sie heulten und hüpften und drehten sich um sich selbst und schnitten fürchterliche Grimassen; doch was einen schaudern ließ, das war gerade der Gedanke an ihre Menschlichkeit - unserer gleich -, der Gedanke an unsere entfernte Verwandtschaft mit diesem wilden und leidenschaftlichen Aufruhr. Häßlich. Ja, es war recht häßlich; doch wenn man sich ermannte, mußte man sich eingestehen, daß die schreckliche Freimütigkeit dieses Lärms in einem selbst einen leisen Widerhall fand, den undeutlichen Verdacht wachrief, es gebe hierin einen Sinn, den man selbst — der man doch so weit abgerückt war von der Nacht des frühesten Zeitalters - noch eben zu erfassen vermöchte. - Joseph Conrad, Herz der Finsternis. Frankfurt am Main 1968

Zeitreise (5)  Die alten Gamuna sagen: »Der Erwachsene ist ein Kind und das Kind ist ein Erwachsener.« Und sie erklären es so: Wenn das Kind zur Welt kommt, hat es das Alter des gesamten Geschlechts (sie wollen damit sagen, daß in den Samen, aus dem es entsteht, die ganze Ontogenese und Phylogenese des Menschengeschlechts eingeschrieben ist). Es ist noch älter als die Gründerväter, noch älter als der Held Eber Eber: Es ist vielleicht so alt wie der Wüstensand, als er noch nicht aus runden Körnchen bestand, sondern aus großen Kristallen mit tetraedrischen Spitzen. Also hat das Kind »das Auge des ganzen Geschlechts«, das alles sieht, alles versteht, aber von weit her, von sehr weit her. Deshalb spricht es bis zu zwei Jahren nicht, weil es noch weit weg ist. Wenn es zu sprechen anfängt, ist es nicht mehr so alt, dann hat es nur das Alter seines Volkes; und wenn ihm die ersten Zähne ausfallen, hat es das Alter seines Hauses; und wenn es zum Initiationsritus kommt, hat es nur das Alter seiner Familie; und wenn es heiratet, hat es nur sein eigenes Alter, achtzehn oder neunzehn Jahre. Aber nach der Verheiratung entwickelt es sich zurück, denn es hat nur mehr »das verengte Auge«, das nichts mehr aus der Ferne sieht; deshalb versteht es kaum etwas, hat vor allem Angst, wird auch gierig wie ein Kind, das immer an der Brust saugen will. Deshalb ist der Erwachsene ein Kind, und das Kind ein Erwachsener.   - (fata)

Zeitreise (6)  Er gelangte an ein kleines Häuschen. In diesem Häuschen sah er einen Knaben, der etwa zehn Jahre alt war. Dieser fragte ihn: »Was suchst du hier, Peter?« — »Ich suche ein Land, wo es keinen Tod und kein Alter mehr gibt.« — »Hier gibt's keinen Tod und kein Alter, denn ich bin der Wind.« Aber Peter sagte: »Von hier gehe ich nicht wieder weg.« Und hier blieb er Hunderte von Jahren und alterte nicht. Während der junge Held dort weilte, ging er zur Jagd auf die Berge von Gold und Silber. Doch Wild brachte er kaum nach Hause. Der Wind mahnte ihn: »Peter, du kannst über alle Berge von Gold und Silber gehen, aber auf den Berg der Sehnsucht und ins Tal der Trauer darfst du nicht gehen.« Aber er dachte nicht daran und ging doch auf den Berg der Sehnsucht und ins Tal der Traurigkeit. Da packte ihn die Traurigkeit und warf ihn zu Boden. Und er weinte, bis ihm die Augen voll Tränen waren.

Da begab er sich zum Wind. »Ich will jetzt nach Haus zu meinem Vater, ich bleibe nicht länger.« — »Gehe nicht zu deinem Vater, denn dein Vater ist längst tot. Auch von deinen Brüdern lebt keiner mehr. Seit damals sind vielleicht schon Millionen von Jahren vergangen. Und wo der Hof deines Vaters stand, daran erinnert sich kein Mensch mehr. Dort hat man Melonen gepflanzt. Es ist kaum eine Stunde her, seitdem ich von dort komme.« Dennoch brach der Knabe auf und kam zu dem jungen Mädchen, das den Hof von Kupfer hatte. Ein einziges Stück Holz war ihm noch geblieben zum Zerhacken, doch es war schon sehr alt geworden. Gerade als er an ihre Tür klopfte, fiel der Greisin das Holz aus der Hand, und sie starb. Da begrub er sie und brach von dort wieder auf. Nun gelangte er zur Kaiserin der Sperlinge. In jenen weiten Wäldern war ihr nur noch ein einziger Zweig übrig geblieben, den sie noch zu durchlöchern hatte. Und als sie ihn sah, sagte sie: »Peter, so jung bist du noch?« Aber er sagte zu ihr: »Siehst du, und du sagtest mir, ich solle bei dir bleiben.« Sowie der letzte Zweig durchlöchert war, fiel sie zu Boden und starb. Und er begrub sie und brach von hier weiter auf. Da kam er an die Stelle, wo einstmals die Gehöfte seines Vaters gestanden hatten. Er blickte sich überall um. Aber da stand kein Hof mehr, nichts war um ihn herum. Da wunderte er sich gar sehr. »Herr, groß bist du.« Er erkannte nur den Brunnen seines Vaters wieder, zu dem ging er. Seine Schwester, die ein Vampir war, sah ihn und schrie: »Seit langem erwarte ich dich, du Hund!« und stürzte auf ihn los, um ihn zu fressen. Da schlug er schnell ein Kreuz, und sie verschwand. Dann brach er auch von hier auf und gelangte an einige Holundersträucher. Dort traf er einen Alten mit einem Barte, der bis zum Gürtel reichte. »Alter«, sagte er. »wo befinden sich die Höfe des roten Kaisers, ich bin sein Sohn.« — »Ei, mein Sohn, was du nicht sagst. Du bist sein Sohn? Der Vater meines Vaters erzählte mir einst vom roten Kaiser. Es gibt keine Stadt mehr. Siehst du nicht, daß alles verlassen ist? Und du willst mir sagen, daß du der Sohn des roten Kaisers bist?« — »Noch nicht einmal 20 Jahre sind vergangen, seitdem ich von meinem Vater aufgebrochen bin. Und du sagst mir, daß du meinen Vater nicht kennst?« Es waren aber schon Millionen von Jahren vergangen, seitdem er von Hause aufgebrochen war. »Komm hierher, wenn du mir nicht glauben willst.« Er ging ans Steinkreuz und siehe, nur eine Handbreit war vom Kreuz noch zu sehen, und er grub zwei Tage lang, bis er auf die Lade mit Geld stieß. Als er die Lade von unten heraufholte und sie aufmachte, da saß der Tod in einer Ecke und das Alter in der andern Ecke, beide zusammengekauert. Da sagte das Alter zum Tod: »Hole ihn, Tod!« — »Hole du ihn!« Da ergriff ihn das Alter und schließlich auch der Tod. Und der alte Mann begrub ihn schön und setzte ihm ein Kreuz. Dann nahm er das Geld und das Pferd.  - (zig)

Zeitreise (7)  Weil ich von Maschinen nicht viel verstehe, fiele es mir schwer, mich über die Besonderheiten des Apparates und über die theoretischen Voraussetzungen, die bei seinem Bau ausschlaggebend waren, zu verbreiten. Da indessen nicht Übernatürliches daran war, versuchte ich mir seine Wirkungsweise vorzustellen. Diese Maschine hatte folgende Funktion: einerseits sollte sie von der Zeit ein bestimmtes Quantum absondern und dies dann für einen bestimmten Augenblick - nur minutenlang, der Apparat war nämlich nicht sehr wirksam - festhalten. Andererseits sollte sie dem, der sich den Gürtel umband, die wiedererweckte Zeitspanne sichtbar und greifbar machen. So konnte ich den Körper, der sich in meinem Blickfeld befand, betrachten, betasten, mit einem Wort, mir (nicht ohne einige Schwierigkeiten) verfügbar machen, während dieser Körper von meiner Gegenwart, da er selber keinerlei Realität besaß, keine Ahnung hatte.

Die Apparate, die dort anzutreffen waren, mußten mit großem Kostenaufwand hergestellt worden sein, denn Geduld allein konnte den Erfinder in der Vergangenheit diese sinnen freudigen Personen in voller Aktion zuführen, und viele Versuche mögen dazu notwendig gewesen sein, viele Walzen mögen nur weniger bedeutende Personen getroffen haben, die dazu mit ganz ändern Dingen als mit Liebesspielen beschäftigt waren. Ich stelle mir vor, daß tiefschürfendes geschichtliches Studium besonders auf dem Gebiete der Chronologie für die Erbauer unumgänglich gewesen sein muß. Sie gaben ihrem Apparat den Standort, von dem sie wußten, daß sich dort zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte weibliche Person schlafen gelegt hatte. Wenn sie dann den Mechanismus in Bewegung setzten, so gaben sie ihm auf, den Zeitpunkt und die genaue Stunde anzupeilen, von der sie erwarten konnten, daß das Objekt in der passenden Haltung anzutreffen wäre.

Wären die Apparate wirksamer und obendrein im Einklang mit der landläufigen Moral, so könnten sie dazu dienen, historische Szenen wiederherzustellen. Zweifellos könnte der Erfinder -wollte er sein Geheimnis der Öffentlichkeit preisgeben, anstatt es einzig dem Vergnügen weniger unterirdischer Lüstlinge vozu-behalten - in Verbindung mit einem Sprechapparat ein vollständiges Bild der Vergangenheit in ihren wiederentdeckten Fragmenten darstellen, und bald gäbe es dann Erforscher vergangener Zeiten, wie es jetzt, und auch dies nur für kurze Zeit, Erforscher unbekannter Welten gibt. Wie mancher dieser Forscher wäre darauf erpicht, das Leben Napoleons Walze für Walze wiederherzustellen. Die Zeitungen würden Nachrichten wie diese verbreiten: »Herr X. hat soeben durch einen glücklichen Zufall den Dichter Villon entdeckt, dessen Leben noch so gut wie unbekannt ist, und Walze für Walze weicht er nicht mehr von seiner Seite.«

Doch greifen wir nicht weiter vor. Das alles gehört noch ins Reich der Utopie, während der Leib, den ich in meine Arme schloß, so sehr meinem Geschmack entsprach, daß ich mich ausgiebig mit ihm einließ, ohne daß er etwas davon ahnte. Es war eine brünette, wollüstige Frau mit weißer Haut, durch die zarte Adern in so großer Zahl hindurchschimmerten, daß sie wie blau wirkte, von dem herrlichen Meerblau, zu dem sich der Schaum ballte, der zu Aphroditens göttlichem Leib wurde. Und da sie mit ihren beiden verschränkten Händen, zur Höhe ihrer Brüste erhoben, etwas zurückzustoßen schien, bildete ich mir ein, es sei der geschmeidige weiße Leib des Schwans, der nicht singen wird, und sie sei Leda, die Mutter der Dioskuren. Sie verschwand sofort, als der Apparat anhielt, und ganz überwältigt von meinem Glück schlich ich mich langsam davon.

Die sotadischen Kritzeleien die illustren Namen im Gang erfüllten mich mit Ekel, doch erfüllte mich auch der Stolz, von Stund an Verbündeter des schrecklichen Tyndariden-Hauses zu sein; ich konnte nicht an mich halten und schrieb mit Bleistift:

ICH HABE DEM SCHWAN HÖRNER AUFGESETZT.

- Guillaume Apollinaire, Der gemordete Dichter. O. O. 1985

 

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Raumzeitreise
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