eit
totschlagen
Um fünf Uhr morgens wache er
auf und könne dann nicht mehr einschlafen.
Fünf Uhr, sechs Uhr, sieben Uhr, acht Uhr, die Decke anschauen, die er seit
vierzig Jahren kennt? Triumphe der Vergangenheit nachbuchstabieren? Was tat
er bloß so lange in seinem Bett? Hitlers Gesicht, der Glanz der Stiefel, das
Kommandogeheul der Vergangenheit, Sonne auf Sonntagmorgenplätzen, braunes, zackig
bewegtes Carré, der Lorbeergeruch ums Rednerpult, Heldengedenkfeiern und Schuljahrsbeginn,
noch einmal das Moiragesicht aufsetzen, das er beim Notenkonvent trug, die kurzen
Schenkel abfingern, probieren, ob der Unterschenkelstrecker noch funktioniert,
die Route des täglichen Spaziergangs revidieren, steilere Wege planen, Inaktivitäts-atrophien
bekämpfen, sollte man nicht auch die Schultergelenke mit Ponkratzin einreihen?
Verspeiste Feinde aus dem Vormagen der Vergangenheit heraufwürgen und noch einmal
gemütlich kauen, was tut von fünf bis sechs der Onkel Gallus bloß von sechs
bis sieben ganz allein von sieben bis acht jeden Morgen in dem ihm seit dem
ersten Weltkrieg bekannten Bett? Und Ohrensausen nach dem Treppensteigen. Jetzt
konnte endlich meine Mutter wieder mitsprechen. Eitrige Mandelentzündungen,
Herzschwächen, die Nerven, ja das ist schwer zu erklären, Juckpulver in den
Adern, überall unter der Haut, es will einen, die Nerven, zur Decke, aber man
kriegt kaum Luft, es kitzelt heiß überall, es ist schwer zu, die Nerven sind
das Schlimmste. - Martin Walser, Halbzeit. München 1971 (zuerst
1960)
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