eit, gute alte   »Als ich hier oben anfing, war das ein angenehmes Arbeiten auf dem Strich. Sicher, da und dort gab es mal ein paar Widerlinge, aber im großen und ganzen war es ein sauberes, nettes Geschaft. Man ließ sich nieder, erwarb sich einen Kundenkreis, wurde bekannt für das, was man am besten konnte, und verdiente sein Geld auf ehrliche Weise. Man sah manchmal Sachen, die man besser nicht gesehen hatte, aber man konn te ja die Klappe halten. Ich weiß noch, wie ich ein Kabinettsmitglied von Harold Macmillan hierhatte, regelmäßig wie ein Uhrwerk; er kam jeden Freitag, nachdem die Sitzung geschlossen war, bevor er auf den Zug in seinen Wahlkreis mußte. Gut, er war eigentlich bloß Staatssekretär, aber seinen Namen würde ich nie verraten. So lief das Geschäft damals. Und dir würde ich den Namen auch nicht verraten.« Renée sah ihn herausfordernd an.

»Ich frag auch nicht.«

»Außerdem ist das schon fast zwanzig Jahre her. Damals hat mir die Arbeit gefallen. Man hatte einen schonen Urlaub, auf der Straße ging's freundlicher zu, beinah jeder wollte es ganz normal haben und wenn nicht, dann entschuldigte er sich fast dafür. Dann haste gesagt: ›Na los, Schätzchen, raus damit, Renée kannste nicht so leicht erschüttern‹, und wenn sie dann irgendwas von Stiefeln oder Peitschen oder Schuluniformen oder so was gefaselt haben, dann haste gesagt: Tut mir leid, mein Schatz, ich wurde ja gern, aber ich hab die Ausrüstung grad nicht dabei. Ich weiß aber, an wen du dich wenden kannst, geh mal zu Annie‹ Und die waren wahnsinnig dankbar dafür und zogen ab, und dann bist du schnell ans Telefon gerannt, hast Annie angerufen und ihr gesagt, daß du ihr Kundschaft rübergeschickt hast, und sie revanchierte sich dann, indem sie auch einen rüberschickte oder für die Empfehlung ein paar Pfünder rüberwachsen ließ.

Wir haben einander nie das Wasser abgegraben, weil, wir wußten ja, daß eh genug Freier für uns alle rumliefen. Aber das hat sich alles schwer geändert. Du hast ja keine Ahnung, wie schwierig das Leben für 'ne normale Nutte in den letzten zwanzig Jahren geworden ist, Duffy, nicht die geringste Ahnung. Das ging los mit dieser sogenannten sexuellen Befreiung, als die ganzen Mädchen, die nie einen rangelassen hatten, plötzlich selber rangingen. Das hat uns wahrlich wenig genutzt, wie du dir vielleicht vorstellen kannst. Und dann kam die Frauenbewegung, was im wesentlichen auf das gleiche rauslief. Dann wurden die Filme immer schweinischer und die Bücher auch. Man konnte ins Theater gehen und zusehen, wie Mädchen auf offener Bühne mit ihren Fotzen wedelten, und das nannte dann jeder Kunst, bloß damit sie beim Rauskommen keine Zeitung vors Gesicht halten mußten. Kunst - fur'n Arsch, wenn du mich fragst.« Renée kam richtig in Fahrt. Duffy lehnte sich einfach zurück und hörte zu.

»Für uns hieß das Finito mit dem guten alten normalen Nuttenfick. Natürlich kommt da noch genug zusammen, daß du dich über Wasser halten kannst, aber wenn die Kerle es auch zu Hause haben können oder mit ihren Sekretärinnen oder sogar von jeder dahergelaufenen Schlunze, die sie in 'ner Bar aufreißen, und das auch noch umsonst, warum sollten sie dann ihr gutes Geld in uns investieren? Das führte dann zu zwei Sachen. Einmal konnten wir feststellen, daß jetzt mehr komische Vögel als früher kamen - also Krüppel und Bucklige und so'n Kram. Ich hab ja gar nichts gegen die, die sind wirklich wahnsinnig lieb; nur, wenn ich die Wahl hätte, also ...

Und dann wurden es immer weniger Freier, die es normal haben wollten. Auf einmal wollten viele Freier, daß man ihnen einen abwichste. Also, man müßte doch eigentlich meinen, das wäre das einzige, was sie auch selber könnten, aber nein. Ich hab ja nichts dagegen, solange die nicht in der Gegend rumtropfen, aber das geht ganz schon auf die Handgelenke. Also wenn du mal fünf oder sechs hintereinander hast, und kein einziger will ihn reinstecken, das schlaucht dich ganz schön. Du kommst dir vor, als hättest du den ganzen Tag lang Apfelkisten gestemmt. Ich hab mir wirklich überlegt, ob ich dafür nicht mehr verlangen soll als für normal, das kann ich dir sagen.

Und es war ja nicht bloß das Abwichsen. Plötzlich wollten sie es alle mit dem Mund haben. Also ich mach das nicht, ich mag das nicht, ich find das ekelhaft. Aber ich Sorge immer dafür, daß die Kollegin, mit der ich zusammenarbeite, es macht, dann brauchen sie nur über den Flur zu gehen, wenn sie's unbedingt haben wollen. Und auch die andern Sachen, da ist, hab ich ja schon gesagt, bloß diese Labour-Regierung dran schuld mit ihrem Pornokram. Und die ganzen Filmclubs und Massagesalons - hast du die gesehen, Duffy?«

Duffy nickte.

»Das war vielleicht ein Einbruch, kann ich dir sagen. Unsere ganzen Freier sitzen da im Dunkeln und schauen zu, wie fremde Leute bumsen. Wo soll da der Vorteil sein für unsere Branche? Und genauso bei den Massagesalons: Manchmal frage ich mich ja, warum die uns Mädchen noch nicht ganz vom Markt vertrieben haben. Ich glaube, der einzige Grund, warum immer noch wer zu uns kommt, ist, daß die Angst haben, in so einen Salon zu gehen und dort wirklich eine Massage zu kriegen - so eine dicke fette Deutsche, die auf ihren Arsch eindrischt, als würde sie ein Steak weichklopfen, und sie dann kopfüber in eine eiskalte Brause schubst, und das alles für fünfzehn Möpse oder so.« - Dan Kavanagh, Duffy. München 2006 (zuerst 1980)

Zeit, gute alte (2)  Der berühmte Satz Talleyrands »- - - n'a pas connu la douceur de vivre«, galt nur für eine kleine Elite, die nicht einmal besonders anziehend war. Im Mme du Deffand'schen oder Mme Geoffrin'schen Salon wären wir alle verschmachtet. Diese Menschen hatten weder Herz noch Sinne noch Einbildungskraft und waren reif für den Tod. Auch sind sie ganz nett gestorben; schade nur, daß es Talleyrand gelungen ist, aus der Gefahr herauszukriechen - - - auf dem Bauch.  - Helene Morand, nach: Ernst Jünger, Strahlungen. Notat vom 30. April 1943

Zeit, gute alte (3)  In früheren Zeiten, als wir Eingeborene nur einmal am Tag und dann nur aus Holzschüsseln aßen, merkte man den Einfluß des Donnergottes Killau, der im Wasserfall haust, weniger als heute; Blechgeschirr hat bösen Einfluß, verändert das Essen und damit die Verdauung: in der Holzschüssel blieb es schön warm, Blech läßt es auskühlen und zwingt also zum Raschessen. Es greift die Menschen an. Sie freuen sich nicht mehr über gewaltige Naturerscheinungen wie der Killau, wenn er spricht, sie haben Angst vor ihm und vor dem Gott der Blitze, der den Ahnen die magischen Streitäxte schickte, dem sie sich verwandt fühlten. Heute sind die Menschen kleiner. Eine Drossel, die die ganze Nacht über schlägt, belästigt sie, läßt sie nicht schlafen. Uns erzählte sie Märchen und Geheimnisse, die den Tag nicht vertrugen. Störend auf uns Alte wirkt die Neigung leise zu sprechen, wir scheuten uns nicht, alles laut zu sagen, gesund war das Herz, wahr der Mund, der heute so vorsichtig, so mißtrauisch ist. Klein sind die Menschen.  - (arauk)

Zeit, gute alte (4)

  - Georges Pichard

Zeit, gute alte (5)  Früher standen sich die Menschen näher. Es blieb ihnen nichts anderes übrig. Die Schußwaffen trugen nicht weit.  - Stanislaw Jercy Lec, nach: Alexander Kluge, Die Patriotin. Texte/Bilder 1-6. Frankfurt am Main 1979
 
 

Nostalgie

 

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