ahnweh Es zog vom Fenster her. Der Mond schien auf den Fußboden. Der Schimmer kam und ging, wie die Wolken im Sturmwind kamen und gingen. Es war eine Unruhe durch Schatten und Licht, aber zuletzt sah der Schatten auf dem Fußboden nach irgend etwas aus; ich betrachtete dieses Bewegliche und spürte einen eisigkalten Luftzug.
Auf dem Fußboden saß eine Gestalt, dünn und lang, wie wenn ein Kind mit dem Griffel etwas auf die Tafel zeichnet, das einem Menschen gleichen soll; ein einziger dünner Strich ist der Körper, ein Strich und noch einer dazu sind die Arme, die Beine sind jedes auch nur ein Strich, der Kopf ein Vieleck.
Bald wurde die Gestalt deutlicher, sie bekam eine Art Gewand, sehr dünn, sehr fein, aber es zeigte, daß sie dem weiblichen Geschlecht angehörte.
Ich hörte ein Summen. War sie es oder der Wind, der wie eine Bremse durch die Scheibenritze surrte?
Nein, das war sie selbst, Frau Zahnweh! Ihre Entsetzlichkeit satania infernalis, Gott befreie und bewahre uns vor ihrem Besuch!
»Hier ist es gut sein!« summte sie; »hier ist ein gutes Quartier! Sumpfiger Grund, Moorgrund. Hier haben Mücken mit Gift im Stachel gesummt, nun habe ich den Stachel. Er muß an Mcnschenzähncn gewetzt werden. Sie leuchten so weiß bei dem hier im Bette. Sie haben Süßem und Saurem, Heißem und Kaltem, Nußschalen und Pflaumenkernen getrotzt! Doch ich werde sie rütteln, sie schütteln, die Wurzeln mit Zugwind düngen, sie fußkalt werden lassen!«
Es war eine entsetzliche Rede, ein entsetzlicher Gast.
»Also Dichter bist du?« sagte sie, »ja, ich werde dich in alle Versmaße der Schmerzen hinaufdichten! Du sollst Eisen und Stahl in deinen Körper, Fäden durch all deine Nervenstränge bekommen!«
Es war, als ginge eine glühende Nadel in meinen Backenknochen hinein; ich krümmte und wand mich.
»Ein ausgezeichnetes Gebiß!« sagte sie, »eine Orgel, um darauf zu spielen, Mundharfenkonzert, großartig, mit Pauken und Trompeten, Pikkoloflöte und Posaune im Weisheitszahn. Großer Poet, große Musik!«
Ja, sie spielte auf, und entsetzlich sah sie aus, selbst wenn man nicht mehr
von ihr sah als die Hand, die schattengraue, eiskalte Hand mit den langen, nadeldünnen
Fingern; jeder von ihnen war ein Marterwerkzeug: Daumen und Zeigefinger hatten
Kneifzange und Schraube, der Mittelfinger endete in einer spitzen Nadel, der
Ringfinger war ein Bohrer und der kleine Finger eine Spritze mit Mückengift.
- (
and
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Zahnweh (2)
Der Zahnfleischkranke Was geht mich der Frühling, was geht mich dein dummes Gesicht,Dein Leben an. Aber nur weine nicht. Geh, Mädchen! Geh! Geh! Mir tun meine Zähne, Deine Knietschträne tut noch mehr weh. Eine entzündete Wurzelhaut Wer mir jetzt eins in die Fresse haut, Siehst du den gelben Schaum? Selbst wenn ich schliefe, Stochern muß ich; gib eine Gabel! |
- Ringelnatz,
Turngedichte
Zahnweh (3)
- Max Ernst, La femme 100 têtes
Zahnweh (4)
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