ärtlichkeit  «Ich kam bald dahinter, daß ich betrogen wurde.»

Er gab ihr, was sie zum Leben brauchte. Er bezahlte die Zimmermiete und gab ihr zwanzig Francs pro Tag für Essen und Trinken. «Dreihundert Francs Miete, sechshundert Francs für Essen und Trinken, ab und zu ein Paar Strümpfe — das machte tausend Francs. Und die Gnädige tat keinen Schlag. Dafür sagte sie rundheraus, sie komme mit dem, was ich ihr gebe, nicht aus. Ich sagte zu ihr: ‹Warum arbeitest du nicht wenigstens halbtags? Eine Erleichterung wäre das schon für mich. Diesen Monat kaufte ich dir ein Komplet, ich zahle dir zwanzig Francs pro Tag, ich zahle dir die Miete, und du trinkst nachmittags mit deinen Freundinnen Kaffee. Du gibst ihnen Kaffee und Zucker. Und ich gebe dir Geld. Ich habe dich anständig behandelt, und du vergiltst es mir schlechte Aber sie tat keinen Schlag, sie sagte nur immer, sie komme nicht aus, und so kam ich dahinter, daß ich betrogen wurde.›»

Er erzählte weiter, er habe in ihrer Handtasche ein Lotterielos gefunden, und sie habe ihm nicht erklären können, wie sie es bezahlt hatte. Etwas später hatte er bei ihr einen Pfandschein gefunden, den Beweis dafür, daß sie zwei Armbänder versetzt hatte. Bis dahin hatte er von der Existenz dieser Armbänder keine Ahnung gehabt. «Ich sah also, daß ich betrogen wurde. Da ließ ich sie laufen. Aber zuerst gab ich ihr eine Tracht Prügel. Und dann habe ich ihr gründlich die Wahrheit gesagt. Ich habe ihr ins Gesicht gesagt, daß sie sich nur immer mit ihrem Dings amüsieren will. Zum Schluß versetzte ich ihr noch: ‹Du merkst gar nicht, wie eifersüchtig alle auf das Glück sind, das du mir verdankst. Später wirst du sehen, was für ein Glück du hattest.›»

Er hatte sie blutig geschlagen. Vorher hatte er sie nicht geschlagen. «Sie bekam schon mal eine geknallt, aber sozusagen in aller Zärtlichkeit. Sie heulte ein bißchen. Ich machte die Fensterläden zu, und es endete wie immer. Aber jetzt ist es ernst. Und ich muß es ihr noch ganz anders geben.» - Albert Camus, Der Fremde. Reinbek bei Hamburg 1963 (zuerst 1953)

Zärtlichkeit (2) Eines Abends im Dezember, als Nosferatu — Eine Symphonie des Grauens gezeigt wurde, setzte sich Bruno neben Caroline Yessayan. Gegen Ende des Films, nachdem Bruno mehr als eine Stunde lang daran gedacht hatte, legte er seine linke Hand sehr sanft auf den Schenkel seiner Nachbarin. Mehrere wunderschöne Sekunden lang (fünf? sieben? auf keinen Fall mehr als zehn) geschah nichts. Sie rührte sich nicht. Bruno überlief es siedend heiß, er war kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. Dann schob sie wortlos, ohne Gewalt, seine Hand zurück. Viel später, und sogar sehr oft, wenn Bruno sich von irgendeiner kleinen Nutte lutschen ließ, sollte er an diese wenigen Sekunden unfaßbaren Glücks zurückdenken; er sollte auch an jenen Augenblick zurückdenken, in dem Caroline Yessayan seine Hand sanft zurückgeschoben hatte. Dieser kleine Junge hatte irgend etwas sehr Reines, sehr Sanftes verspürt, das einem früheren Stadium angehörte als die Sexualität, als jeder erotische Konsum. Er hatte den simplen Wunsch verspürt, einen liebenden Körper zu berühren, sich in liebende Arme zu schmiegen. Das Zärtlichkeitsbedürfnis gehört einem früheren Stadium an als der Verführungsdrang, deshalb ist es so schwer, zu verzweifeln.  - Michel Houellebecq, Elementarteilchen. München 2001 (zuerst 1998)

Zärtlichkeit (3)

"Die Kunst, Die Zärtlichen oder Die Sphinx"

- Fernand Khnopff (1896)

Zärtlichkeit (4)  Hexen sind so zärtlich, daß sie unaufhörlich für die Kinder Kleidchen weben, die sie fressen wollen. - Ramón Gómez de la Serna, Der Traum ist ein Depot für verlegte Gegenstände. Greguerías. Berlin 1989

Zärtlichkeit (5)  Er sagte zu ihr, mach dir nichts draus. Sie sollte sich nicht darüber schämen, daß sie seine Socken nicht stopfte. Sie achtete nicht darauf, ob ihre Wäsche geflickt war: sie schrieb Geschichten, und er liebte seine Frau. Wenn sie zärtlich gestimmt war, stopfte sie ihm einen Socken (sie wählte immer ein solches Paar, bei dem nur ein Socken schadhaft war). Sie stopfte mit Hingabe. Das rührte ihn mehr als ein Versuch, ihm ein schmackhaftes Mahl zu bereiten. - Friederike Mayröcker, Larifari. Ein konfuses Buch. In: F. M., Gesammelte Prosa 1949 bis 1975. Frankfurt am Main 1989 (zuerst 1956)

Zärtlichkeit (6)  

- Walter Schnackenberg

Gefuehle Berührung

Oberbegriffe

 

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Unterbegriffe

Liebe Zartheit

VB

Synonyme