underbare, Das  Das Wunderbare, das tiefer als die Schönheit ist und sich durch sie als eines seiner Mittel offenbart, teilte sich so durch Träume, Bücher und Bilder mit und störte die Bestrebungen einer Erziehung, die es gänzlich zu vernichten und auszurotten suchte — oder auch zu erklären, was ja wohl dasselbe ist. Diese Unterstützung des Wunderbaren war stark, stärker, als es dem Bewußtsein klar wurde, ja manchmal sogar ins Körperliche übergreifend. Wer Sinn dafür besitzt, hat diese Angriffe des Wunderbaren auf die Welt der Tatsachen sicherlich an sich selbst erlebt, als Gleichgewichtsstörung in Augenblicken, in denen die magische Perspektive sich erschließt, als Stocken des Atems und des Herzschlages, als blitzartiges Erlöschen der Wahrnehmung und als ihr Wiedererwachen, dem, besonders nach dem optischen Einbruch gewisser Landschaften, die Welt irgendwie verändert erscheint. - (ej)

Wunderbare, Das (2)  Das Wunderbare ist überall vorhanden, dem Blick des großen Haufens zwar verborgen, aber zur Detonation bereit wie eine Zeitbombe. Ich öffne dieses Schubfach und unter Zwirnspulen und Zirkeln kommt ein Absinthlöffel zum Vorschein. Durch die Löcher dieses Löffels hindurch kommt mir ein Zug von Tulpen im Gänsemarsch entgegen. In ihren Kronen richten sich Philosophieprofessoren auf, die über den kategorischen Imperativ reden. Jedes Wort, wie ein entwerteter Groschen, zerbricht auf dem Boden, wo aufgereihte Nasen es in die Luft zurückwerfen, in der es Rauchkringel bildet. Aus ihrer langsamen Auflösung entstehen winzige Spiegelfragmente, in denen sich ein feuchter Mooshalm widerspiegelt.   - Benjamin Péret:  Das Wort hat Péret, in: B. P., Die Schande der Dichter. Prosa, Lyrik, Briefe. Hamburg 1985 (Edition Nautilus)

Wunderbare, Das (3)  Wenn man bei dem Versuch, die gleichsam unter der Oberfläche kommunizierenden Lebensadern wieder mit dem Zivilisationsprozeß zu verbinden, zu konkreten Ergebnissen kommen wollte, mußte man mit einer Revision des persönlichen Lebens beginnen. Daher rückte die Begegnung und ihre Deutung in den Mittelpunkt des Interesses. Sie verheißt der Frage und der Suche nach dem wirklichen Ich, dessen Auftauchen man nicht mehr in der Mitte der Persönlichkeit, sondern in Übereinstimmung mit einer alten Tradition am Horizont erwartet, Antwort und Gegenwart.

In der Begegnung wirkt »eine Art magische Kraft; zumal (....) die Möglichkeiten ihrer höchsten Erfüllung in der Liebe liegen. Es konnte keine Offenbarung auf einer anderen Ebene geben, die neben ihr bestand. Vielleicht war es immer nur sie, die wir, auch unter manchen Verkleidungen, suchten. Eine Arbeit wie Nadja scheint mir dies zu verdeutlichen. Die Heldin des Buches verfügt über alle gewünschten Mittel, man kann wirklich sagen, daß sie dazu geschaffen ist, das ganze Verlangen nach dem Wunderbaren auf sich zu konzentrieren. Und trotzdem bleibt die Verführung, die sie auf mich ausübt, geistiger Art und findet keine Lösung in der Liebe. Sie ist eine Zauberin, und das Prestige, das sie in die Waage wirft, wiegt wenig neben der reinen und einfachen Liebe, die mir eine Frau inspiriert, wie sie am Ende des Buches erscheint.« (Entretiens, 1952)

Manche Begebenheiten, die im Buch erzählt werden, rechtfertigen aber die Vermutung, daß Nadja jenseits des Konfliktes zwischen Herz und Geist stand. Nadja ist enttäuscht und bestürzt, weil sich Breton bei dem Bericht einer ans Wunderbare grenzenden Begebenheit mit der Konstatierung begnügt. Sie war so vertraut mit dem Geheimnis, daß sie diese Haltung als schmerzende Beschränkung empfinden mußte. Indem ich im Anschluß an die Worte Bretons daran erinnere, möchte ich, denn mehr ist hier nicht möglich, auf eine Problematik hinweisen, die das persönliche Drama übersteigt. Sie würde sich erst mit der »Entdeckung des Ichs, dem Endprozeß der Identifizierung mit der Welt« (Henry Miller) auflösen; im vielleicht utopischen Einssein von Freiheit und Form. Als bloßes Ereignis gewährt das Wunderbare nur eine flüchtige Identität von Sinn und Leben. Oder besser: es überrascht uns als Identitätsangebot. Mit Andre Breton sind wir immer wie an einem Ursprung. Wo Leben entspringt, können wir für das Sein entspringen.   - Max Hölzer, Anhang zu (nad)

Wunderbare, Das (3) 

Des Dichters Ziel ist das Wunderbare.
(Ich meine das der Meister, nicht der Krüppel);
Wer nicht verblüffen kann, soll sich striegeln lassen.

- Giambattista Marino, nach: Gustav René Hocke, Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst. Reinbek bei Hamburg 1969 (rde 82/83, zuerst 1959)

 

Augenblick Wunder Geschehen

 


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