undbrand  Ich kann mich erinnern, daß es in meinem Dorf einen gab: dem war eine Wunde am Bein brandig geworden, und man konnte ihm das Bein nicht amputieren, weil sein Herz das nicht ausgehalten hätte, es hätte bedeutet, ihn auf der Stelle zu töten. Also behielt er seinen Brand und seine Zerstörung, die immer weiter nach oben wanderte und deren Fortschritt man (er selber!) Tag um Tag und Stunde um Stunde abmessen konnte. Was glaubt ihr, was er tat? Sich aufregte, fluchte, seine Seele dem Teufel vermachte oder schlimmstenfalls betete? Das wäre leicht gewesen, hätte er beten können! Gar nichts tat er: lag da und wartete, bis ihm das Untier langsam die Eingeweide und schließlich das Herz zerfraß. Da ließ er einen nach dem andern alle seine Verwandten und alle Dorfnotablen kommen, um sich von ihnen zu verabschieden, umarmte und küßte sie, wünschte ihnen alles Gute; bei einem dieser Besuche lüftete er die Decken über seinem Bein und sagte fast ohne Ärger, ohne Aufgeregtheit und fast ohne Groll zu dem Brand: «Mach schon!»  - Tommaso Landolfi, Die Stumme. In: T. L., Die Stumme. Reinbek bei Hamburg 1991
 
 

Wunde

 

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