ürstchen  Nach meinem vierten Glas Wodka wurde mir ziemlich schlecht, ich mußte mich hinlegen und ließ mich auf einen Haufen Kissen hinter dem Sofa fallen. Kurze Zeit später setzten sich zwei Frauen auf dieses Sofa. Keine Schönheiten, im Gegenteil: die beiden dicken Würstchen unserer Abteilung. Sie gehen zusammen essen und lesen Bücher über die Sprachentwicklung bei Kindern und ähnliches Zeug.

Sie fingen gleich an, die Neuigkeiten des Tages durchzugehen, dass nämlich ein Mädchen unserer Abteilung in einem superscharfen Minirock zur Arbeit gekommen war, der ihr gerade eben den Hintern bedeckte.

Und wie fanden sie das? Sie fanden das ausgezeichnet. Ihre Silhouetten zeichneten sich an der Wand über mir ab wie bizarr vergrößerte chinesische Schatten. Ihre Stimmen schienen von hoch oben zu kommen, ein wenig so, als spräche der Heilige Geist. Allerdings ging es mir in diesem Moment wirklich nicht gut.

Fünfzehn Minuten lang reihten sie Platitüden aneinander: dass sie das Recht hat, sich nach ihrem Geschmack zu kleiden, dass sie deshalb noch lange nicht darauf aus ist, alle Typen zu verführen, dass sie sich bloß in ihrer Haut wohl fühlen will, sich selber gefallen will usw. Die letzten bestürzenden Überreste nach dem Fall des Feminismus. Irgendwann habe ich diese Worte sogar mit lauter Stimme ausgesprochen: «Die letzten bestürzenden Überreste nach dem Fall des Feminismus.» Aber sie haben mich nicht gehört.

Auch mir war dieses Mädchen aufgefallen. Sie war nicht leicht zu übersehen. Sogar der Abteilungsleiter hatte einen Ständer.

Vor dem Ende der Diskussion bin ich eingeschlafen, aber ich hatte einen unangenehmen Traum. Die beiden Würstchen standen Arm in Arm auf dem Gang, der unsere Abteilung durchläuft, sie warfen die Beine in die Luft und sangen aus vollem Hals:

«Wenn ich meinen Arsch verneige,
Will ich nicht verführen!
Wenn ich Schenkelhaare zeige,
Will ich mich vergnü-gen!»

Das Mädchen mit dem Minirock stand in einer Türöffnung, aber diesmal trug sie ein langes schwarzes Kleid, wirkte mysteriös und zurückhaltend. Sie betrachtete die beiden lächelnd. Auf ihren Schultern saß ein riesiger Papagei, der den Abteilungsleiter darstellte. Von Zeit zu Zeit streichelte sie ihm mit lässiger, aber fachkundiger Hand das Bauchgefieder.

Als ich erwachte, merkte ich, dass ich auf den Teppich gekotzt hatte. Die Party ging dem Ende zu. Ich verbarg das Gekotzte unter einem Haufen Kissen, dann rappelte ich mich hoch und wollte versuchen, nach Hause zu fahren. Da erst fiel mir auf, dass ich meinen Wagenschlüssel verloren hatte. - Michel Houellebecq, Ausweitung der Kampfzone (1999, zuerst 1994)

Würstchen (2)  Ich brachte ihm seinen Kaffee und als ich ins Zimmer kam, fummelte er gerade an seiner Verlängerungsschnur herum. Wahrscheinlich probierte er, ob er irgendwie ein strammes Ding zustande brachte. Ich stellte den Kaffee auf den Nachttisch, blieb stehen und sah ihm bei seinen Bemühungen zu, um abzuwarten, ob er einen roten Kopf bekam. Aber das widerliche Schwein ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und fummelte weiter, bis er ein müdes Würstchen für zweifünfzig in der Hand hielt. Dann bettelte er, ich solle ihm einen blasen und bekam zur Antwort, er solle sich von einem seiner Weiber einen blasen lassen. Er sagte, er habe keine Weiber mehr, alle seien längst über den Jordan, und ich antwortete, das sei sein Pech, ich würde ihm nicht mal als Leiche einen blasen.

Ich sei ein undankbares Stück, schimpfte er, und haute seinem Pimmel mit der flachen Hand eine runter, als ob der etwas dafür konnte, daß er so schlapp geblieben war. Er griff nach der Tasse auf dem Nachttisch, trank den Kaffee in kleinen Schlucken und im Nu war die Luft aus dem Schwanz, als hätte man mit einer Nadel in einen Ballon gestochen.  - Javier Tomeo, Das Verbrechen im Orientkino. Berlin 1996

Würstchen (3) «Setzen Sie sich doch zu mir herüber mit Ihren Frankfurtern.»

«Wenn es Sie nicht stört», sagt die Kellnerin und kommt mit den dampfenden Wursteln wieder an seinen Tisch. Und den ersten Bissen hat sie fast ausspucken müssen, so heiß sind die gewesen. Aber ein, zwei hastige Kaubewegungen mit offenem Mund und fest hauchen, und schon ist es unten.

«Es gibt nichts Besseres als Frankfurter. Wenn sie heiß sind.»

«Heiß sind sie ja», sagt der Brenner und staunt, wie sie schon den nächsten viel zu heißen Bissen hinunterschlingt.

«Müssen sie.»

«Vielleicht ist es deshalb, daß mir die Frankfurter nie so geschmeckt haben. Weil ich sie immer zu kühl gegessen habe.»

«In Frankfurt sagen sie ‹Wiener Würstel›, und in Wien ‹Frankfurter Würstel›», sagt die Kellnerin mit vollem Mund: «Und wissen Sie, wieso?»

«Keiner möchte das Würstel sein.»

«Das wäre auch eine Erklärung», lacht die Kellnerin. «Aber ich werde es Ihnen sagen: Ein Wiener Metzger hat die Würstel erfunden. Und der hat Frankfurter geheißen.»

«Möchte man meinen, die hat es immer schon gegeben.»

«Neinnein. Erfunden. In Wien. Frankfurter.»

«Essen Sie die Würstel immer ohne Brot?»

«Immer! Würstel immer ohne Brot.»

«Wenn Sie Würstel so gerne mögen, dann müßte ja der Porsche-Pauü Ihr bester Freund sein.»

«Das kannst du laut sagen, daß der Porsche-Pauli ein Würstel ist. Und ein ganz kaltes noch dazu», lacht die Kellnerin, weil für sie ist jetzt anscheinend das Du-Wort fällig gewesen.  - Wolf Haas, Der Knochenmann. Reinbek bei Hamburg 2014

Feminismus Wurst
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