Wortalchimie    Nun zu mir. Die Geschichte einer meiner Narrheiten.

Seit langem prahlte ich damit, alle möglichen Landschaften in mir zu tragen, und fand die Berühmtheiten der modernen Malerei und Poesie lächerlich.

Ich liebte die ganz einfältigen Malereien, bemalte Türgesimse, Zeltbilder der Jahrmarktsbuden, Aushängeschilder, volkstümliche, grell kolorierte Sachen, die aus der Mode gekommene Literatur, Kirchenlatein, erotische Bücher voll orthographischer Fehler, Romane aus der Großmütterzeit, Märchen, kleine Kinderbücher, alte Opern, alberne Schlager, ungekünstelte Rhythmen.

Ich träumte von Kreuzzügen, von Entdeckungsreisen, über die es keine Berichte gibt, von Staaten ohne geschichtliche Überlieferungen, von niedergeschlagenen Religionskriegen, von sozialen Revolutionen, von Wanderungen der Völker und Kontinente: ich glaubte an alle möglichen Zaubereien.

Ich erfand die Farbe der Vokale! — A schwarz, E weiß, I rot, O blau, Ü grün. — leb bestimmte Form und Bewegung jedes Konsonanten, und mit Hilfe triebhafter Rhythmen schmeichelte ich mir, eine poetische Sprache zu erfinden, die, früher oder später, allen Sinnen zugänglich sein würde. Die Übersetzung sparte ich einstweilen auf.

Das war zunächst nur Übung. Ich schrieb das Schweigen, die Nächte, ich zeichnete das Unaussprechliche auf. Ich hielt den Taumel fest ...

Es ging nicht ohne allerlei poetischen Trödelkram ab bei meiner Schwarzkunst des Wortes.

Ich gewöhnte mich an die einfache Halluzination: ich sah ganz deutlich eine Moschee an der Stelle einer Fabrik, ich sah, wie Engel Unterricht im Trommeln erteilten, sah Kutschen auf den Straßen des Himmels, einen Salon auf dem Grunde eines Sees; die Ungeheuer, die Geheimnisse; der Titel eines Singspiels ließ Schreckensbilder vor mir aufsteigen.

Dann verdeutlichte ich meine magischen Spitzfindigkeiten mit der Halluzination der Worte.

Zuletzt kam ich dahin, die Verwirrung meines Geistes geradezu als etwas Heiliges zu empfinden. Ich verfiel dem Müßiggang, von schwerem Fieber heimgesucht: ich beneidete die Tiere um ihre Glückseligkeit, — die Raupen, welche die Unschuld der ungetauften Kinder verkörpern, die Maulwürfe, den Schlaf der Jungfräulichkeit.

Mein Wesen wurde verbittert. Ich sagte der Welt Lebewohl in romanzenartigen Gedichten ...

Ich liebte die Wüste, die versengten Obstgärten, die verstaubten Buden, die lauwarmen Getränke. Ich schleppte mich durch die stinkenden Gassen, und, mit geschlossenen Augen, bot ich mich der Sonne dar, der Göttin des Feuers.

«General, wenn noch eine alte Kanone auf deinen verfallenen Wällen übrig geblieben ist, beschieße uns mit Klumpen trockener Erde. Heran an die Spiegelscheiben der prunkenden Kaufhäuser! Hinein in die Salons! Laß die Stadt ihren Staub fressen. Laß die Wasserröhren verrosten. Fülle die Frauengemächer mit brennendem Pulver aus Rubinen ...»

Oh! Die Mücke, trunken über dem Pissort der Herberge, verliebt taumelnd überm Gewürzkraut; ein Strahl, und sie ist zerstäubt!

Zuletzt, o Glück, löste ich das Blau vom Himmel ab, so daß er nun schwarz ist, und ich lebte, goldener Funke des Lichtes Natur. Vor Freude gewöhnte ich mir eine möglichst närrische und verrückte Ausdrucksweise an ....

Ich wurde eine Märchenoper: Ich sah, daß allen Wesen ihr Glück vom Verhängnis bestimmt wird: die Tat ist nicht das Leben, sondern eine Art Kraftvergeudung, eine Schwächung. Moral ist Gehirnschwäche.

Jedem Wesen, so schien, es mir, müßten mehrere andere Leben vergönnt sein. Dieser Herr da weiß nicht, was er tut: er ist ein Engel. Jene Familie ist ein Wurf von Hunden. In Gegenwart von mehreren Männern unterhielt ich mich ganz laut mit einem Augenblick aus einem ihrer anderen Leben. — Aul die Art habe ich ein Schwein geliebt.

Keine einzige der Spitzfindigkeiten des Wahnsinns — des Wahnsinns, den man einsperrt, — ist von mir vergessen worden: ich könnte sie alle hersagen, ich kenne das System.

Meine Gesundheit war gefährdet. Angst überkam mich. Ich schlief manchmal ganze Tage lang, und wenn ich aufgestanden war, träumte ich die traurigsten Träume weiter. Ich war reif für den Tod, und auf einer Straße voll von Gefahren fühlte mich meine Schwäche bis an die Grenze der Welt und des Landes der Kimmerier, der Heimat des Schattens und der Wirbelwinde.

Ich mußte auf die Wanderschaft gehen, die Zauberbilder zerstreuen, die sich in meinem Gehirn angesammelt hatten. Auf dem Meer, das ich liebte, als ob es einen Makel hätte von mir abwaschen müssen, sah ich das Kreuz des Trostes sich erheben. Ich war verdammt worden von dem Regenbogen. Das Glück war mein Verhängnis, meine Reue der Wurm, der an mir fraß. Mein Leben würde immer viel zu unermeßlich sein, als daß ich es der Kraft und der Schönheit weihen könnte.

Das Glück! Sein Zahn, sanft in der Todesstunde, warnte mich zur Zeit des Hahnenschreis, — der Frühmette, wenn man das Christus venit singt, — in den düsteren Städten:

O Zeiten, o Paläste!
Welche Seele ist ohne Gebreste?

Ich hab die magische Kunst erreicht
Des Glücks, dem keiner entweicht.

Sei mir gegrüßt, früh und spät,
Wenn der gajlische Hahn sein Liedchen kräht.

Ach, ich entsage allem Streben:
Er hat sich beladen mit meinem Leben.

Der Zauber hat Seele und Leib mir geraubt
Und all meine Kraft in den Wind zerstäubt,

O Zeiten, o Paläste!

Die Stunde seiner Flucht wird, o Pein!
Die Stunde des Todes sein.

O Zeiten, o Paläste.

Das ist nun vorbei. Heute weiß ich, wie ich die Schönheit grüßen soll.

  - Arthur Rimbaud: Eine Zeit in der Hölle, nach (rim)

 

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