Wolfshund   Weshalb zum Teufel  hält die Leitung  des Sanatoriums einen riesigen Wolfshund an der Kette, eine schreckliche Bestie, einen richtigen Werwolf von geradezu dämonischer Wildheit?

Das Zittern überkommt mich, sooft ich an seiner Hütte vorbeigehe, wo er regungslos an der kurzen Kette steht, den wilden Zottelkragen rings um den Kopf gesträubt, bärtig, borstig und stachelig, die Maschinerie des gewaltigen Rachens voller Zähne. Er bellt nie, nur sein wildes Gesicht wird beim Anblick eines Menschen noch schrecklicher, seine Züge erstarren in einem Ausdruck bodenloser Wut, und wenn er seine schreckliche Schnauze hebt, vergeht er in den leisen Zuckungen eines ganz dunklen, fanatischen, aus der Tiefe des Hasses hervorgelockten Heulens, in welchem Trauer und ohnmächtige Verzweiflung schwingen.

Mein Vater geht gleichgültig an dieser Bestie vorbei, wenn wir zusammen aus dem Sanatorium gehen. Was mich anbelangt, bin Ich jedesmal zutiefst erschüttert durch diese elementare Manifestation ohnmächtigen Hasses. Ich bin jetzt um zwei Kopf größer als der Vater, der klein und mager mit winzigen Greisenschritten neben mir einhertrippelt.   - Bruno Schulz, Das Sanatorium zur Todesanzeige. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966

Wolfshund (2)  Ein Hund, ein Wolfshund, der gutartig und müde wirkte, hatte sich dem Wägelchen genähert, in dem ein blondes Kind ruhig schlief. Das Kindermädchen kümmerte sich nicht darum und unterhielt sich mit einem Soldaten. Unwillkürlich stellte er sich zwischen den Kinderwagen und den Hund. Das Mädchen unterbrach sein Gespräch mit dem Soldaten, lächelte ihn beruhigend an, betrachtete den Hund freundlich und meinte, er sei gutmütig, alt und zutraulich. Er ging weiter und fing an, die vielen Hunde zu zählen, die durch den Park liefen und plötzlich seine Aufmerksamkeit erregten. So viele Hunde, vielleicht mehr als Kinder. Und wenn man die Sklaven zählen würde? hatte Seneca sich gefragt. Und wenn man die Hunde zählen würde? In seinen Papieren war eines Tages der Horror eines Kindes aufgetaucht, das eine Dogge zerrissen hatte. Der Hund des Hauses, der vielleicht genauso gutmütig, alt und zutraulich war wie der Wolfshund des Mädchens. Die Erinnerung an den Vorfall, die vielen Kinder, die durch den Park liefen, und die vielen Hunde, die sie bei ihren Spielen zu begleiten oder zu bewachen schienen, erzeugten in ihm die Vision einer Apokalypse. Er fühlte sie auf dem Gesicht wie ein klebriges, schmutziges Spinnennetz und versuchte sie. mit der Hand wegzuwischen, um nicht so zu sterben. Aber die Hunde blieben da, zu viele, und es waren nicht jene, die er in seiner Jugend um sich gehabt hatte, als sein Vater zur Jagd ging. Kleine Hunde, kyreneische Köter, immer fröhlich und schwanzwedelnd, die mehr Freude am Landleben hatten als an der Jagd. Diese hier dagegen waren groß und schwer, als träumten sie von gefahrvollen, dunklen Wäldern und unwegsamen Steinwüsten. Oder nazistischen Konzentrationslagern. Und sie wurden zu viele, wenn man es recht bedachte. Genau wie die Katzen, aber auch die Mäuse. Und wenn man die zählen würde?

Er sprang von einem Gedanken zum nächsten, während jene Zwangsvorstellung schwächer wurde, und dachte an die Hunde seiner Kindheit, ihre Namen, an die Geschicklichkeit des einen und die Faulheit des anderen, so wie sein Vater sich mit den Jägern darüber unterhalten hatte. Und nie hatte er darüber nachgedacht, fiel ihm unversehens ein: Keiner von ihnen war jemals im Haus gestorben; keinen von ihnen hatte man sterben gesehen oder in seinem Körbchen aus Weidengeflecht und alten Wolldecken tot aufgefunden. In einem gewissen Stadium ihres Alters oder ihrer Bronchitis wurden sie müde, appetitlos und lustlos. Und sie verschwanden. Das Schamgefühl der vom Tode Gezeichneten, wie bei Montaigne. Und die Tatsache, daß einer der größten Geister der Menschheit den Wunsch gehabt hatte, in Abgeschiedenheit und fern von jenen, die ihm zu Lebzeiten nahegestanden hatten zu sterben, und damit das erfühlt und gedacht hatte, was ein Hund instinktiv verspürt, erschien ihm erhaben und fast so unumstößlich wie der Kantsche Imperativ. Er versöhnte ihn unter dem großen Schatten Montaignes mit den Hunden.  -  Leonardo Sciascia, Der Ritter und der Tod [mit: Ein einfacher Fall] Berlin 1990

 

Hund

 

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