ohlgeruch
Sie war so starr vor Schreck, als sie ihn sah, daß
er viel Zeit hatte, ihr seine Hände um
den Hals zu legen. Sie versuchte keinen Schrei, rührte sich nicht,
tat keine abwehrende Bewegung. Er seinerseits sah sie nicht an.
Ihr feines sommersprossenübersprenkeltes Gesicht, den roten Mund,
die großen funkelndgrünen Augen sah er nicht, denn er hielt seine
Augen fest geschlossen, während er sie
würgte, und hatte nur die eine Sorge, von ihrem Duft
nicht das geringste zu verlieren.
Als sie tot war, legte er sie auf den Boden mitten in die
Mirabellenkerne, riß ihr Kleid auf, und der Duftstrom wurde zur
Flut, sie überschwemmte ihn mit ihrem Wohlgeruch. Er stürzte
sein Gesicht auf ihre Haut
und fuhr mit weitgeblähten Nüstern von
ihrem Bauch zur Brust, zum Hals, in ihr Gesicht und durch die
Haare und zurück zum Bauch, hinab an ihr Geschlecht,
an ihre Schenkel, an ihre weißen Beine. Er roch sie ab vom Kopf
bis an die Zehen, er sammelte die letzten Reste ihres Dufts am
Kinn, im Nabel und in den Falten ihrer
Armbeuge.
Als er sie welkgerochen hatte, blieb
er noch eine Weile neben ihr hocken, um sich zu versammeln, denn
er war übervoll von ihr. Er wollte nichts von ihrem Duft verschütten.
- Patrick Süskind, Das Parfüm. Die Geschichte eines
Mörders. Zürich 1985
Wohlgeruch (2) Vor allen unvergessen blieb der
Starez Hiob, der hundertundfünf Jahre alt geworden und ein berühmter Glaubenseiferer,
ein großer Faster und Schweiger gewesen war. Er war schon vor langer Zeit, im
zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gestorben, und sein Grab wurde mit besonderer
Ehrfurcht allen Pilgern gezeigt, die zum erstenmal zu uns kamen, wobei man in
geheimnisvoller Weise auf gewisse große Hoffnungen anspielte. Ebenso lebendig
war die Erinnerung an einen vor verhältnismäßig kurzer Zeit verstorbenen großen
Mönchpriester, den Starez Vater Warsonofij, von dem Vater Sosima die Starzenwürde
übernommen hatte und der, als er noch lebte, von allen Wallfahrern, die das
Kloster besuchten, geradezu für einen heiligen Narren gehalten worden war. Von
diesen beiden berichtete die Überlieferung, sie hätten wie lebendig in ihren
Särgen gelegen und seien vollständig unverwest begraben worden, und ihr Antlitz
habe sich im Sarge nachgerade verklärt. Manche behaupteten sogar, sich noch
zu erinnern, daß ihren Leichnamen deutlich wahrnehmbarer Wohlgeruch entströmt
sei. - Fjodor M.
Dostojewskij, Die Brüder Karamasow. München 1978 (dtv 2043, zuerst 1879)
Wohlgeruch (3)