Witwerblick  Er war ein Mann im besten Alter, mittelgroß, mittelschlank, unauffällig gekleidet, neutraler Anzug von der Stange. Ohne sei­nen giftigen Gesichtsausdruck hätte ich ihn gar nicht bemerkt. Vielleicht war er im täglichen Leben tatsächlich so unauffällig. Aber ich besitze nun mal einen Riecher, der „die Dinge hinter den Dingen" wittert, wie Michel Krauss sagt, der Maler von Quai des Brumes. Zuerst dachte ich, er war blind. Das lag an sei­nen Augen unter den buschigen Brauen in dem frostigen, aus­druckslosen, abwesenden Gesicht. Leblose Augen, glanzlos, von unsäglicher, gequälter Traurigkeit. Eine innere Trauer, die man ohne Trauerflor und den übrigen Kram spürt. Der Blick eines Witwers. Besser konnte ich den Mann nicht beschreiben. Und für mich will das was heißen. Mir wird immer etwas unbehag­lich, wenn ich einen Witwer seh. Bei Witwen ist das anders. Viel­leicht hab ich dann immer die berühmte Schwester vor Augen, die lustige, auch wenn die betreffende Frau von Kummer ganz niedergedrückt ist. Aber ein Witwer! Das ist so endgültig, aus­weglos, wie mit einem Fluch belegt, so hilflos. Kommt mir immer vor wie eine häßliche Verstümmelung. - Léo Malet, Die Nächte von Saint-Germain. Reinbek bei Hamburg 1990
 
 

Witwer Blick

 

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