Witwenplausch   Mrs. Crabtree lag in ihrem schmalen Krankenhausbett und blinzelte mit rheumatischen Augen zu ihrer Besucherin hoch. Sie war genauso, wie John sie beschrieben hatte, und Henrietta spürte, wie plötzlich ein warmes Gefühl in ihr aufstieg. Ihre gedrückte Stimmung schwand. Dies war die Wirklichkeit, das Leben würde weitergehen! Hier hatte sie ein winziges Stück von John wiedergefunden.

»Der arme Doktor. Schrecklich, nicht?« sagte Mrs. Crabtree. In ihrer Stimme schwang Begeisterung mit und auch Bedauern, denn Mrs. Crabtree liebte das Leben, und gewaltsamer Tod, besonders Morde oder das Sterben im Kindbett waren die Schmuckelemente im Teppich des Lebens. »Ihn so abzumurksen! Es hat mir beinahe den Magen umgedreht, wirklich! Ich hab es in der Zeitung genau gelesen. Die Schwester hat mir alle gegeben, die sie kriegen konnte. Sie war wirklich nett zu mir. Auch Bilder hab ich gesehen und so. Den Swimmingpool, alles. Wie seine Frau den Verhandlungssaal verließ, das arme Ding, und dann diese Lady Angkatell, der der Swim-ming-pool gehört. Ein Haufen Fotos. Wirklich geheimnisvoll, das Ganze, was?«

Henrietta war über die diebische Freude, die Mrs. Crabtree empfand, nicht empört. Sie gefiel ihr, weil sie wußte, daß es auch John gefallen hätte. Ihm wäre Mrs. Crabtrees Sensationslust sicherlich viel lieber gewesen, als wenn sie geschluchzt und gejammert hätte.

»Ich hoffe bloß, daß sie denjenigen erwischen und ihn aufhängen«, fuhr Mrs. Crabtree rachsüchtig fort. »Es gibt ja keine öffentliche Hinrichtungen mehr wie früher, schade! Ich glaube, ich hätte gern mal so was gesehen. Und ich würde noch schneller hinlaufen, wenn der Mörder vom Doktor gehängt würde, verstehen Sie? Der muß verrückt gewesen sein. So was wie den Doktor gab's unter tausend nur einmal. Wie klug er war! Und was für eine nette Art er hatte! Brachte einen zum Lachen, ob man wollte oder nicht. Was der manchmal für seltsame Sachen sagte! Ich wäre für ihn durchs Feuer gegangen, wirklich!«

»Ja«, sagte Henrietta, »er war wirklich ein kluger Mann, ein außergewöhnlicher Mann!«

»Im Krankenhaus hielt man große Stücke auf ihn. Alle Schwestern. Und die Patienten! Wenn er kam, hatte man immer das Gefühl, daß es einem besserging.«

»Sie werden bestimmt wieder gesund«, sagte Henrietta. Die kleinen, listigen Augen verdunkelten sich für einen Moment »Da bin ich mir nicht so sicher, meine Liebe. Jetzt habe ich so einen Leisetreter mit Brille. Was für ein Unterschied zu Dr. Christow. Nie lacht er! Dr. Christow, der war mir einer -immer bereit zu einem Späßchen! Aber seine Behandlungsmethoden haben mich fertiggemacht. ›Ich halt' es nicht mehr aus, Doktor‹, habe ich immer zu ihm gesagt, und er meinte dann: ›O doch, Sie halten es aus, Mrs. Crabtree!‹ So sagte er. >Sie sind zäh, wirklich! Sie verkraften es. Sie und ich, wir beide werden in der Medizin Geschichte machen!‹ Und was er nicht noch alles redete! Für ihn hätte ich alles getan, wirklich! Er erwartete eine Menge von einem, aber man hatte bei ihm immer das Gefühl, daß man ihn nicht im Stich lassen durfte, verstehen Sie?«

»Ja, ich verstehe«, sagte Henrietta.

Die kleinen, scharfen Augen starrten sie an. »Entschuldigen Sie, meine Liebe, aber Sie sind nicht zufällig seine Frau?«

»Nein. Nur eine Freundin.«

»Ich verstehe«, sagte Mrs. Crabtree. Henrietta glaubte es.

»Warum sind Sie hergekommen, wenn ich fragen darf?«

»Der Doktor hat mir viel von Ihnen erzählt - und über seine neue Behandlungsmethode. Ich wollte wissen, wie es Ihnen geht.«

»Ich mach' mich davon, ja, das tue ich«, sagte Mrs. Crabtree.

»Das dürfen Sie nicht!« rief Henrietta. »Sie müssen wieder gesund werden.«

»Ich möchte ja keineswegs abkratzen.« Mrs. Crabtree grinste. »Glauben Sie das bloß nicht!«

»Na, dann müssen Sie kämpfen. Dr. Christow sagte, Sie seien eine Kämpfernatur.«

»Hat er das wirklich gesagt?« Mrs. Crabtree lag eine Minute lang still da, dann sagte sie langsam: »Wer ihn auch erschossen hat - es ist eine Schande. So einen wie ihn gibt's nicht oft!«

Einen wie ihn gibt's nie wieder, dachte Henrietta. Mrs. Crabtree beobachtete sie scharf.

»Lassen Sie den Kopf nicht hängen, meine Liebe«, sagte sie und fügte hinzu: »Ich hoffe, er hatte ein schönes Begräbnis!«

»Ein sehr schönes«, antwortete Henrietta pflichtschuldig.

»Ach, ich wünschte, ich hätte dabeisein können!« Mrs. Crabtree seufzte. »Na ja, bald werde ich zu meiner eigenen Beerdigung gehen.«

»Nein«, rief Henrietta. »Sie dürfen nicht aufgeben. Gerade eben erzählten Sie mir, daß Dr. Christow Ihnen gesagt hatte, sie beide würden Geschichte machen. Nun, jetzt müssen Sie allein weiterkämpfen! Die Medikamente sind die gleichen. Nur müssen Sie eben Mut für zwei haben. Sie allein machen jetzt Medizingeschichte - für ihn!«

Mrs. Crabtree blickte sie lange schweigend an. »Klingt großartig«, sagte sie schließlich. »Ich werde mich bemühen. Mehr kann ich nicht versprechen.«

Henrietta erhob sich und ergriff ihre Hand. »Auf Wiedersehen. Wenn ich darf, komme ich Sie wieder besuchen.«

»Ja, tun Sie das. Es war schön, ein bißchen über den Doktor zu reden.« Ein anzügliches Funkeln trat in ihre Augen. - Agatha Christie, Das Eulenhaus. Bern, München, Wien 1990 (zuerst 1946) 

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