issensdurst  Lebhaft wurde Auskunft über Intimes erbeten. Ob es eine Penisfraktur gebe zum Beispiel, und was ein spanischer Kragen sei.

Hier ließ sich Medizinstudent Riedel hören. Der Uterus habe die Form einer Birne, sagte er und formte ihn mit den Händen nach. Wenn man seine Frau so recht von Herzen lieb habe, dürfe man auch mal ein bißchen pervers sein. Die folgenden Spielarten sexuell abnormen Verhaltens gälte es zu beachten...

Ob man Nahrungsmittel auch von hinten zu sich nehmen könne? Das sei ihm nicht bekannt. - Walter Kempowski, Im Block. Frankfurt am Main 1972 (zuerst 1969)

Wissensdurst (2)  Die wirkliche Würze des Wissens ist in meinem Denken entscheidend mit dem unbebauten Grundstück an der Ecke des neuen Viertels verbunden, in das ich mit etwa zehn Jahren verpflanzt wurde. Dort kam, als die Herbsttage anbrachen und wir um das Laubfeuer herumstanden und in den kleinen Konservenbüchsen, die wir mitgebracht hatten, Spatzen und rohe Kartoffeln brieten, eine neue Art von Diskussionen auf, die sich von den bisherigen dadurch unterschieden, daß sie sich aus Büchern nährten. Einer von uns hatte gerade ein wissenschaftliches oder ein Abenteuerbuch gelesen, und sofort begann sich die ganze Straße für dieses bisher unbekannte Thema zu Interessieren. Es kam vor, daß einer dieser Jungen gerade entdeckt hatte, daß es so etwas wie die Japanische Meeresströmung gab, und er versuchte uns zu erklären, wie die Japanische Meeresströmung zustande kam und wozu sie diente. Dies war die einzige Art, wie wir Dinge lernten: an den Zaun gelehnt, beim Braten von Spatzen und rohen Kartoffeln. Diese Wissensbrocken sanken tief ein, so tief, daß es später, angesichts eines genaueren Wissens, oft schwierig war, das frühere abzutun. So wurde uns eines Tages von einem älteren Jungen erklärt, die Ägypter hätten bereits über den Blutkreislauf Bescheid gewußt, das schien uns so natürlich, daß es uns später schwerfiel, die Geschichte von der Entdeckung des Blutkreislaufs durch den Engländer Harvey zu schlucken. Auch erscheint es mir heute nicht seltsam, daß sich unsere Gespräche damals meist um entlegene Länder wie China, Peru, Ägypten, Afrika, Island oder Grönland drehten. Wir sprachen über Gespenster, über Gott, über die Seelenwanderung, über die Hölle, über Astronomie, über seltsame Vögel und Fische, über die Bildung von Edelsteinen, über Gummiplantagen, über Foltermethoden, über Azteken und Inkas, über das Leben im Meer, über Vulkane und Erdbeben, über Begräbnis- und Hochzeitszeremonien in verschiedenen Teilen der Erde, über Fremdsprachen, über den Ursprung des amerikanischen Indianers, über das Aussterben der Büffel, über merkwürdige Krankheiten, über Kannibalismus, über Hexerei, über Reisen zum Mond und wie es dort wohl aussah, über Mörder und Wegelagerer, über die Wunder, über die Herstellung von Keramiken, über tausendundein Themen, die zu Hause oder in der Schule nie erwähnt wurden und die uns lebhaft beschäftigten, weil wir nach Wissen hungerten, weil die Welt voller Wunder und Geheimnisse war und wir nur, wenn wir fröstelnd auf dem leeren Grundstück standen, zu ernsthaften Gesprächen kamen und ein Mitteilungsbedürfnis empfanden, das gleichzeitig angenehm und erschreckend war.  - Henry Miller, Wendekreis des Steinbocks, Reinbek bei Hamburg 1972 (zuerst 1939)
 
 

Durst Neugier Wissen

 

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