Wirtschaftsbelebung  Als ich zum erstenmal von Gutekunst hörte, war ich noch bei Falk & Fonder in der Lehre, quälte mich mit Computersimulationen für Massenbegräbnisse, büffelte Grabsteinkunde und träumte von einem eigenen Pietätsunternehmen. Gutekunst feierte damals gerade seinen zweihundertsten Geburtstag mit einem Pomp, der wochenlang die Klatschspalten füllte. Ich beneidete ihn. Sein neues Landhaus nach historischen Entwürfen von Le Corbusier war ein Palast, jedenfalls kam es mir so vor. In meinem winzigen Appartement im achten Kellergeschoß des Mingen-Komplexes sah ich mir gierig alle Sendungen über die Geburtstagsfeierlichkeiten an. Gutekunst sah keinen Tag älter aus als ich selbst. Seine strahlend blauen Augen prägten sich mir ein, und ich übte vor dem Spiegel lange den Gutekunst-Blick, dieses unbeschreibliche Gemisch aus Herablassung, Sinnlichkeit, Grausamkeit und distanzierter Wärme. Er war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Sein Reichtum war so märchenhaft und sein Ruf so gepflegt ruiniert, daß er es sich leisten konnte, gleichzeitig Verbindungen zu den Syndikaten, der Unsterblichkeitspartei und Heesters' Seuchenunion zu unterhalten, alle zu unterstützen und gegeneinander auszuspielen. Ich bewunderte ihn. Jeder bewunderte ihn.

Hundert Jahre später wurde seine Erkrankung bekannt, eine heimtückische unheilbare Krankheit, deren Ursprung angeblich in den Labors des Ministeriums für Letalität lag. Ich glaubte nicht daran, aber es interessierte mich auch nicht besonders. Mein eigenes Unternehmen — Pietät Decker — begann gerade zu florieren. Die Epidemien Anfang der zwanziger Jahre katapultierten mich in die erste Garnitur der Branche, ich hatte viel zu tun, verdiente viel Geld und unterstützte inzwischen Heesters Seuchenunion, aus verständlichen Gründen. Die Unsterblichkeit war eine Plage, in jeder Beziehung. Jeder halbwegs vernünftige Mensch wußte, daß wesentlich mehr gegen sie unternommen werden mußte, als die Unsterblichkeitspartei mit ihrer altertümlich manischen Abneigung gegen den Tod zu leisten imstande war. Ein paar Grippeepidemien, die zaghafte Wiedereinführung der Pest und das Unfallförderungsgesetz konnten uns nicht vor dem Desaster retten. Heesters mußte her. Er war der einzige, der radikale Lösungen vertrat. Heesters war der Tod, sein Symbol war die Sense, mein Symbol waren die gekreuzten Palmwedel der Trauer; ich fand, daß sich beides gut miteinander vertrug. - Bernard Richter, Der Gutekunstsche Erbfolgekrieg. In: Phantastische Welten, Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1984

 

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