ir   »Nur wir«, sada kichi futari / Sada und Kichizo, nur wir: diesen Schriftzug hat die Prostituierte in Oshimas Film ›Im Reich der Sinne‹ ihrem getöteten Liebsten in den linken Oberschenkel eingeschnitten. Sie hat ihn in Liebe erwürgt und ihm Penis und Hoden vom Leib getrennt. Vier Tage irrt sie darauf in euphorischem Wahn durch Tokio und trägt das Geschlechtsteil ihres Herrn um den Hals.  - Botho Strauß, Paare, Passanten. München 1984 (dtv 10250, zuerst 1981)

Wir (2)

Wir, Johann Amadeus Adelgreif,
Fürst von Saprunt und beiderlei Smeraldis,
Erzkaiser über allen Unterschleif
Und Obersäckelmeister von Schmalkaldis

Erheben unsern grimmen Löwenschweif
Und dekretieren vor den leeren Saldis;
«Ihr Räuberhorden, Eure Zeit ist reif.
Die Hahnenfeder ab, ihr Garibaldis.»

Man sammle alle Blätter unserer Wälder
Und stanze Gold daraus, soviel man mag,
Das ausgedehnte Land braucht neue Gelder,
Und eine Hungersnot liegt klar am Tag.
Sofort versehe man die Schatzbehälter
Mit Blattgold aus dem nächsten Buchenschlag.

- Hugo Ball, nach: Richard Huelsenbeck (Hg.): Dada. Eine literarische Dokumentation. Reinbek bei Hamburg 1964

Wir (3)  Die Axolotl drängten sich auf dem schäbigen und engen Boden (nur ich kann wissen, wie schäbig und eng) aus Stein und Moos des Aquariums. Es waren neun Exemplare, und die meisten drückten den Kopf an die Scheibe und betrachteten mit ihren Goldaugen alle, die sich näherten. Verwirrt, beinah betreten empfand ich es als eine Art Schamlosigkeit, mich diesen stummen, unbeweglichen Figuren auf dem Grund des Aquariums zu zeigen. Im Geiste sonderte ich eine ab, die sich rechterhand und etwas abseits von den anderen befand, um sie besser studieren zu können. Ich sah einen kleinen Körper, rosafarben und wie lichtdurchlässig (ich dachte an die kleinen chinesischen Statuen aus Mondstein), der dem einer kleinen Eidechse von fünfzehn Zentimeter Länge ähnelte und in einem Fischschwanz von außerordentlicher Feinheit endete: dem empfindlichsten Teil unseres Körpers. Über seinen Rücken lief eine durchsichtige Flosse, die mit dem Schwanz verschmolz; was mich aber fast um den Verstand brachte, waren diese Füße von größter Zartheit, die in winzigen Zehen endeten, in völlig menschlichen Nägeln. Und dann entdeckte ich seine Augen, sein Gesicht. Ein ausdrucksloses Gesicht, ohne andere Züge als die Augen, zwei Öffnungen wie Stecknadelköpfe, ganz und gar aus durchsichtigem Gold, bar jeden Lebens, aber starrend, sich von meinem Blick durchdringen lassend, der durch den goldenen Punkt hindurchzugehen und sich in einem durchsichtigen Geheimnis weiter drinnen zu verlieren schien. Ein sehr schmaler, schwarzer Hof umsäumte das Auge und zeichnete es in das rosige Fleisch, in den rosigen Stein des Kopfes, der eine Art Dreieck, aber mit gekrümmten und unregelmäßigen Seiten bildete, die ihm eine totale Ähnlichkeit mit einer von der Zeit verwitterten Statuette verliehen. Der Mund war in der dreieckigen Fläche des Gesichts fast nicht erkennbar, nur im Profil erriet man seine ansehnliche Größe; von vorn ritzte ein feiner Spalt kaum den unbelebten Stein. An beiden Seiten des Kopfes, wo die Ohren hätten sein müssen, wuchsen ihm drei rote Ästchen wie von Korallen, ein pflanzlicher Auswuchs, vermutlich die Kiemen. Und das war das einzige, was an ihm lebte, alle zehn oder fünfzehn Sekunden richteten sich die kleinen Zweige starr und steif auf und senkten sich wieder. Zuweilen bewegte sich unmerklich ein Fuß, ich sah, wie sich die winzigen Zehen ganz sanft auf das Moos legten. Wir bewegen uns nämlich nur ungern viel, und das Aquarium ist so eng, kaum kommen wir ein Stück vorwärts, stoßen wir an den Schwanz oder den Kopf eines anderen von uns; daraus entstehen Schwierigkeiten, Hader, Ungemach. Die Zeit wird weniger fühlbar, wenn wir uns ruhig verhalten.  - Julio Cortazar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main 1998

Wir (4)  Wir sind nur Hülle im Wind, Muskeln, die sich gegen Sterblichkeit wehren. Wir sind Schläfer im Staub der Vorwürfe gegen uns selbst. Bis zur Gurgel stecken wir voll von Namen, die wir unserem Elend gegeben haben. Das Leben, der Weidegrund, wo Nacht sich nährt, Wiederkäuer eines Futters, das uns würgt. Das Leben, die Erlaubnis, den Tod kennenzulernen. Wir sind geschaffen, auf daß die Erde den Geschmack ihrer eigenen Unmenschlichkeit zu schmecken bekomme; wir lieben, damit die Erde unter der Kostbarkeit des Körpers brülle. Ja, wir, die wir bis an die Gurgel im Elend stecken, sollten uns gut umsehen und alles Wahrgenommene, alles Getane und Gesprochene wägen. - Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1936)
 
 

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