Wie gerufen    LEONCE. Welch unheimlicher Abend! Da unten ist alles still, und da oben wechseln und ziehen die Wolken, und der Sonnenschein geht und kommt wieder. Sieh, was seltsame Gestalten sich dort jagen! sieh die langen weißen Schatten mit den entsetzlich magern Beinen und Fledermausschwingen! Und alles so rasch, so wirr, und da unten rührt sich kein Blatt, kein Halm. Die Erde hat sich ängstlich zusammengeschmiegt wie ein Kind, und über ihre Wiege schreiten die Gespenster.

VALERIO. Ich weiß nicht, was Ihr wollt, mir ist ganz behaglich zumut. Die Sonne sieht aus wie ein Wirtshausschild, und die feurigen Wolken darüber wie die Aufschrift: ›Wirtshaus zur goldenen Sonne‹. Die Erde und das Wasser da unten sind wie ein Tisch, auf dem Wein verschüttet ist, und wir liegen darauf wie Spielkarten, mit denen Gott und der Teufel aus Langeweile eine Partie machen, und Ihr seid ein Kartenkönig, und ich bin ein Kartenbube, es fehlt nur noch eine Dame, eine schöne Dame, mit einem großen Lebkuchenherz auf der Brust und einer mächtigen Tulpe, worin die lange Nase sentimental versinkt die Gouvernante und die Prinzessin treten auf, und - bei Gott, da ist sie! Es ist aber eigentlich keine Tulpe, sondern eine Prise Tabak, und es ist eigentlich keine Nase, sondern ein Rüssel. Zur Gouvernante: Warum schreiten Sie, Werteste, so eilig, daß man Ihre weiland Waden bis zu Ihren respektabeln Strumpfbändern sieht?

GOUVERNANTE heftig erzürnt, bleibt stehen. Warum reißen Sie, Geehrtester, das Maul so weit auf, daß Sie einem ein Loch in die Aussicht machen?

VALERIO. Damit Sie, Geehrteste, sich die Nase am Horizont nicht blutig stoßen. Solch eine Nase ist wie der Turm auf Libanon, der gen Damaskus steht.   - Georg Büchner, Leonce und Lena

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