esensart    Jetzt besinne ich mich auf die Gedanken, die mich vorgestern nacht in dem grell erleuchteten Zimmer heimsuchten. Sie bezogen sich auf die Wesensart der Eindringlinge, auf die Berührungen, die zwischen mir und den Eindringlingen stattgefunden haben. Ich versuchte es mit unterschiedlichen Erklärungen: Daß ich ein Opfer der hiesigen Seuche geworden sei: ihre Auswirkungen auf die Phantasie; die Leute, die Musik, Faustine; auf den Körper: womöglich schauderhafte Lädierungen, Anzeichen des Todes, die mir

auf Grund der zuerst genannten Wirkungen verborgen bleiben.

Daß die widerwärtige Ausdünstung des Sumpfgebietes und mangelhafte Ernährung mich haben unsichtbar werden lassen. Die Eindringlinge sahen mich nicht (oder sind im Besitz einer übernatürlichen Selbstbeherrschung; ich verdrängte insgeheim, indem ich mir auf meine Gewandtheit etwas zugute hielt, jeden Verdacht, es handle sich um ein groß angelegtes kriminalistisches Täuschungsmanöver). Einwand: ich bin nicht unsichtbar für die Vögel, die Kröten, die Ratten, die Moskitos.

Ich verfiel, da ich mir nicht anders zu helfen wußte, auf den Gedanken, ich hätte es möglicherweise mit Geschöpfen von anderer Naturbeschaffenheit zu tun, mit Bewohnern eines anderen Planeten, die zwar Augen haben, aber nicht zum Sehen; Ohren, aber nicht zum Hören. Mir fiel ein, daß sie ein korrektes Französisch gesprochen hatten. Das nötigte mich, der ersten Annahme einen noch weiteren Ausdehnungsbereich zuzuschreiben: wonach eben ihre Sprache womöglich das gemeinsame Attribut zweier koordinierter Welten sei, aber zu unterschiedlichen Zwecken, Auf die vierte Hypothese hat mich mein ausschweifendes Traumerzählertalent gebracht. Heute nacht träumte mir:

Ich befand mich in einem Irrenhaus. Nachdem eine lange Konsultation mit einem Arzt (der Prozeß?) vorausgegangen war, hatte meine Familie mich hierhergebracht. Morel war der Direktor. Es gab Augenblicke, in denen mir bewußt war, daß ich hier auf der Insel lebe; in anderen Augenblicken wähnte ich in einem Irrenhaus zu sein; auch war ich augenblicksweise der Direktor des Irrenhauses. Man braucht, glaube ich, einen Traum nicht unbedingt für "Wirklichkeit zu halten und ebensowenig die Wirklichkeit für bloßen Wahn. Fünfte Hypothese: Die Eindringlinge können auch eine Gruppe abgeschiedener Freunde sein; ich, ein Reisender, wie Dante oder wie Swedenborg oder, sofern ich nicht selber gestorben bin, der Angehörige einer anderen Kaste, der sich im Augenblick seiner Metamorphose von ihnen abspaltet; diese Insel das Purgatorium oder der Himmel dieser Toten (daß es mehrere Himmel gibt, ist bereits festgestellt worden; gäbe es nur den einen Himmel und alle wären darin, wo eine bezaubernde Vermählung und alle Aschermittwoche der Literatur unser warteten, hätten sich schon viele von uns vor dem Sterben gedrückt). Ich verstand auf einmal, warum die Romanschreiber mit kläglichen Gespenstern aufwarten. Die Toten verbleiben im Kreis der Lebenden. Sie haben es schwer, sich andere Gewohnheiten zuzulegen, den Tabakgenuß aufzugeben und ihren Ruf von Frauenbezwingern. Es erfüllte mich mit Grauen (dachte ich innerlich auftrumpfend), daß ich unsichtbar sein, mit Grauen, daß ich Faustine, die mir so nahe war, auf einem anderen Planeten wissen sollte; allein der Name Faustine stimmte mich traurig; aber ich bin tot, ich bin außer Reichweite (ich werde Faustine sehen, werde sie fortgehen sehen, und meine Winke, meine flehentlichen Bitten, meine Anschläge werden sie nicht erreichen). Diese schauderhaften Möglichkeiten, das Problem zu lösen, sind vereitelte Hoffnungen.

Indem ich solche Gedanken hin und her wendete, durchströmte mich ein nachhaltiges Wohlgefühl. Ich häufte Beweise an, denen zufolge sich meine Beziehungen zu den Eindringlingen als ein Verhältnis zwischen Lebewesen -auf verschiedenen Ebenen herausstellten. Unter Umständen hatte sich auf der Insel hier eine für deren Tote (mich und die Tiere, die sie behausen) unwahrnehmbare Katastrophe ereignet; dann waren die Eindringlinge gekommen. Wenn ich tot wäre! Wie begeisterte mich dieser Einfall (auf eitle literatenhafte Art)!  - Adolfo Bioy Casares, Morels Erfindung. München 1965 (zuerst 1940)