erkzeug Gottes  Inzwischen war ein sehr alter Mann in einem fleckigen, langärmeligen weißen Gewand in die Küche gekommen und hatte die Nonnen und Kinder hinausgescheucht. Er war glatt rasiert; welke, pergamentähnliche Haut, die lediglich ein Futteral für das Skelett zu sein schien, überzog sein Gesicht wie eine lederne Maske. Faltige Lider hingen wie eingetrocknet über bläulich-milchigen Augen, was ihm eine vage Ähnlichkeit mit einer alten Schnapp-Schildkröte verlieh. In der brüchigen Stimme schwang ein sanft tadelnder Unterton: «Er hat's nicht bös gemeint. Er ist schwachsinnig.» «Trotzdem sollten Sie ihm gelegentlich abgewöhnen, auf Polizeibeamte loszugehen», beschwerte sich der erste Polizist. «Jetzt riech ich, als wär ich in Scheiße gefallen.»
«Er kocht für die Kinder», erklärte der alte Mann. «Manchmal riecht es tatsächlich komisch», gab er zu.
«Es riecht nach Fäkalien», stellte der zweite Polizist fest. Er hatte das City College besucht.
Eine der Nonnen, die gerade in diesem Augenblick in die Küche kam, sagte entrüstet: «Kutteln sin das! Is ja nich jeder so reich wie ihr Weißen.»
«Na, na. Buttercup! Die Herren meinen es nicht böse», schalt der alte Mann. «Sie haben bloß in Notwehr gehandelt. Ihnen waren die Reaktionen von Bubber nicht geläufig.»
«Was haben die hier überhaupt zu suchen?» murrte sie; doch ein Blick des Alten ließ sie eilig verschwinden.
«Sie sind also der Boss hier?» fragte der erste Polizist.
«Ja, Sir, ich bin Reverend Sam.»
«Sind Sie 'n Mönch?» fragte der zweite Polizist.
Ein Lächeln schien über das Gesicht des Alten zu zucken. «Nein, ich bin Mormone.»
Der erste Polizist kratzte sich am Kopf. «Und die vielen Nonnen? Was machen die hier?»
«Das sind meine Frauen.»
«Jetzt haut's mich aber um, verdammt noch mal! Ein Niggermormone - verheiratet mit 'nem Haufen von Niggernonnen ... Und all die Kinder? Ist das hier ein Waisenhaus?»
«Nein. Es sind meine eigenen Kinder. Ich versuche sie großzuziehen, so gut es der Herr mir erlaubt.»
Die Beamten sahen ihn scharf an. Beide hatten den starken Verdacht, daß er sie auf den Arm nahm.
«Enkel, meinen Sie wohl», korrigierte der zweite Polizist.
«Oder Urenkel», schlug der erste Polizist vor.
«O nein! Sie sind alle die Frucht meiner Lenden.»
Die Beamten sahen ihn mit großen Augen an. «Wie alt sind Sie, Onkel
«Ich muß ungefähr hundert sein, soviel ich weiß.» Sie starrten ihn mit offenem Mund an. Aus dem Inneren des Hauses drang das laute Rufen und Lachen der Kinder und die sanften Stimmen von Frauen, die zur Ruhe mahnten. Ein scharfer, animalischer Geruch verbreitete sich in der Küche und überdeckte noch den Duft aus dem großen Kessel; es war ein altbekannter Geruch, und der zweite Polizist zerbrach sich den Kopf, was es war, das so roch. Sein Kollege starrte fasziniert in die milchigblauen Augen des alten Mannes. Sie erinnerten ihn an Opale, die er in einem Schmuckgeschäft gesehen hatte, wo man auf Raten kaufen konnte.

Der fette schwarze Mann fing an, sich zu bewegen, und der erste Polizist zog seine Pistole, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Der Dicke wälzte sich auf den Rücken und blickte von dem Uniformierten zu dem alten Mann.
«Papa, er hat mich gehauen», brabbelte er fast unverständlich durch seine Hasenscharte.
«Papa schickt gleich die bösen Männer weg, spiel du nur schön weiter», krächzte der Alte. Es lag ein seltsames Wohlwollen in seiner Stimme, als er zu dem Schwachsinnigen sprach.
«Papa?» Der erste Polizist blinzelte. «Ist das etwa auch ein Sohn von Ihnen?»
Plötzlich schnippte der zweite Polizist mit den Fingern: «Das Affenhaus!» rief er.
«Gott hat uns alle gemacht», erinnerte Reverend Sam ihn sanft.
«Aber nicht die vier Dutzend Kinder, die hier durcheinanderwuseln», entgegnete der erste Polizist. «Wenn das stimmt, was Sie sagen.»
«Ich bin nur Gottes Werkzeug.»
Plötzlich fiel dem ersten Polizisten ein, warum sie ursprünglich hier angehalten hatten. «Sie haben da so 'n Schild im Fenster, Onkel, wo Sie fruchtbare Frauen suchen. Haben Sie denn noch nicht genug Frauen?»
«Ich habe im Augenblick nur elf. Ich muß aber zwölf haben . .. Eine ist gestorben, und sie muß ersetzt werden.»  - Chester Himes, Blind, mit einer Pistole. Reinbek bei Hamburg 1970 (zuerst 1969)

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